Bündnis Demokratie - sinnvoll oder gar schädlich für den Erhalt der Demokratie?
Germering, 24.8.2024
Bei einem Interview mit anschließender (Podiums-)Diskussion mit Hans Sautmann, Kreistagsabgeordneter der Grünen im Rahmen des DemokraTischs in Fürstenfeldbruck wurden drei Hauptfragen gestellt, deren Beantwortung nach dem Interview auch in Schriftform erbeten wurde. Mit 2.500 Zeichen für alle drei Fragen. Mit Verlaub, aber für einfache Antworten auf komplexe Fragen ist just die Partei zuständig, die alle demokratisch gesinnten Kräfte in Deutschland gern an der Regierung verhindern wollen. Da ich nicht weiß, ob meine Antworten nicht stark gekürzt werden, poste ich sicherheitshalber hier den (von mir schon gekürzten, aber vollständigen) Text.
Welches sind Ihre persönlichen Motive, sich aktiv für die Demokratie einzusetzen und welche Erwartungen stellen Sie an das „Bündnis Demokratie im Landkreis FFB“?
Seit Anbeginn der Zivilisation gibt es zwei Fraktionen:
Zum einen diejenigen, die einige Menschen für besser halten als andere (darunter natürlich sie selbst). Man erkennt sie unter anderem an folgenden Merkmalen: „Wir zuerst!“ („America first“; „Bavaria first“); „Mir / uns (den Peers, der Nation) steht mehr zu als Anderen“; „Regeln sind für alle, aber doch nicht für mich, der ich darüberstehe“; Das Pflegen von Vorurteilen / Klischees, das Erklären „fremder Elemente“ zu Sündenböcken; „Es sind immer die Anderen schuld!“; Privilegien werden für sich selbst als selbstverständlich erachtet, aber anderen nicht / nicht im gleichen Maße zugestanden.
Und dann gibt es diejenigen, die der Ansicht sind, dass jeder Mensch gleich viel wert ist, eine Position, die einerseits oft schwer durchzuhalten ist, die aber – z.B. in Artikel 3, Grundgesetz – qua Verfassung in jedem Fall oberste Leitlinie sein sollte.
Dieser Grund-Konflikt wurde in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung nach der französischen Revolution wegweisend organisiert: Diejenigen der Fraktion der „Manche sind besser als Andere (damals Adel oder Klerus) sollten sich nach rechts setzen, die der zweiten Fraktion nach links. Diesem Organisationsprinzip entstammen noch heute die Begriffe „links“ und „rechts“. Diese Frage ist der Kernkonflikt der Menschheit, den man sich stets vor Augen halten sollte.
Wenn man sich – wie ich – prinzipiell der zweiten Fraktion zugehörig fühlt, dann gibt es zur Demokratie schlichtweg keine Alternative, denn in keinem anderen System lassen sich alle Interessen der verschiedenen Gruppierungen einer Gemeinschaft prinzipiell gleichwertig aufs politische Tablett bringen. In Autokratien / Diktaturen setzt sich dagegen immer nur eine (beschränkte) Sichtweise durch, unabhängig von der politischen Ausrichtung.
Warum ist es heute so wichtig, dass die zweite Fraktion das Rennen macht?
Die Ansicht der ersten Fraktion beinhaltet einen Automatismus zum Krieg und zu bewaffneten Konflikten, denn natürlich sind die Ansichten darüber, wer genau die „besseren“ Menschen sind, überall auf der Welt unterschiedlich und egal, ob es um „Lebensraum im Osten“ geht (ein höchst fataler Anspruch aus der deutschen Geschichte) oder – allgemeiner – um die Verteilung der Ressourcen auf der Erde: Wenn eine Fraktion als die „besseren Menschen“ daraus ableitet, einen höheren Anspruch auf die Ressourcen des Planeten zu haben, finden andere das naturgemäß ungerecht und daraus entstehen zwangsläufig Konflikte. Und Konflikte können eskalieren, sowohl, was die Intensität als auch den Wirkradius betrifft.
Das Problem dabei: Globale Konflikte sind heute nicht mehr führbar, denn wenn sie zu einem Atomkrieg eskalieren, führt das unmittelbar zur Vernichtung der Menschheit – wie übrigens auch, wenn die großen Menschheitsprobleme (Klimawandel, Artensterben, Vermüllung des Planeten, Raubbau an Ressourcen) deshalb nicht gelöst werden, weil wir eine Zusammenarbeit aller Völker über unsere kleingeistigen Grenzen hinweg nicht endlich hinbekommen;
Ein Hauptproblem nicht nur unserer Zeit ist, dass selbst die politisch Rechten sich, grundgesetztreu, offiziell zur Gleichwertigkeit bekennen. Einige berufen sich sogar ganz offiziell auf Jesus Christus und das Christentum. Und doch tun sie alles dafür, um eine Gesellschaftsordnung der Gleichwertigkeit zu hintertreiben – es entsteht naturgemäß ein Ungleichgewicht zwischen dem, was in der Flasche drin ist, und dem Etikett, das auf der Flasche prangt …
Erwartungen an das Bündnis Demokratie im Landkreis FFB
Momentan erwarte ich erstmal noch gar nichts. Aber ich hoffe! Ich beobachte zwei verschiedene Tendenzen, wie innerhalb des Bündnisses an die Demokratiefrage herangegangen wird:
Tendenz 1: „Wir polieren das Etikett“ – Letztlich geht es gar nicht so sehr um die Demokratie selbst, sondern um die Bewahrung des Status Quo, der demokratischen Fassade, auf dass die AfD nicht der CSU / den anderen Parteien, die sich gern als „demokratische“ ansehen, den Rang ablaufen möge.
Tendenz 2: „Wir pfeifen auf das Etikett, viel wichtiger ist der Inhalt!“ - Die Demokratie ist ein fragiles Gut, das geschützt werden muss vor jedem Versuch, sie zu demontieren, auch und erst recht, wenn Partner*Innen aus dem Bündnis selbst bzw. deren jeweilige politische Gruppierung an solchen Aktionen mitwirken.
Ich hoffe sehr, dass die Tendenz 1 nicht die Oberhand gewinnt. Diese Position würde mir persönlich bei Weitem nicht ausreichen. Wenn es nur das sein soll, ist das Bündnis meines Erachtens überflüssig. Warum? Ich sage es mit einem Zitat von Bertolt Brecht:
„Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angetastet werden.“
Welche antidemokratischen Kräfte und Gefahren sehen Sie?
Antidemokratische Tendenzen lauern überall. Man kann das Einstehen für Demokratie leider noch nicht mal an linken Parteien festmachen, die hatten alle schon ihre Sündenfälle, in der Historie ebenso wie in der Gegenwart; Allerdings muss man leider tendenziell feststellen, dass, je rechter die Partei, desto häufiger die Aktionen, die demokratische Mitwirkung einschränken sollen. Ich will jetzt hier keine einzelnen Maßnahmen als Beispiele aufführen, obwohl es davon eine Menge gäbe, sondern auf den Kern des Problems eingehen. Wir reden hier definitiv nicht nur von der AfD. Die Gefahr der Demokratiemüdigkeit geht durch alle Parteien / Gruppierungen durch; Die Zahl echter Demokratien hat weltweit in den letzten vierzig Jahren massiv abgenommen, die Autokraten sitzen mittlerweile mitten unter uns, selbst in der EU.
Was wir aber als „antidemokratisch“ definieren, darüber herrscht nicht einmal in dieser Gesprächsrunde Einigkeit.
Hans Sautmann hat in der Gründungserklärung des Bündnis Demokratie geschrieben: „Unsere Demokratie ist ein Verfahren, um Mehrheiten zu bilden und den Mehrheitswillen umzusetzen, bei gleichzeitigem Schutz der Rechte von Minderheiten.“
Ich würde im Sinne von Oskar Lafontaines Demokratiedefinition ein entscheidendes Wort darin ändern: „… und die Mehrheitsinteressen umzusetzen, …“
Wir stecken hier in einem Dilemma. Unsere Politik setzt nämlich seit Jahrzehnten mitnichten die Interessen der breiten Bevölkerung um, sondern die der Reichen und Superreichen – und zwar mit alleroberster Priorität. Seit Jahrzehnten als Komplizen mit dabei: Die SPD und die GRÜNEN, seit dem Kabinett Schröder. Rot/Grün hat sich bewusst von der Idee des Wohlfahrtsstaats getrennt, die Soziale Marktwirtschaft (eine deutsche Sonderform des Keynesianismus) abgeschafft und stattdessen Neoliberalismus umgesetzt. In der Konsequenz bekamen wir enormen Anpassungs- und Leistungsdruck (denn wer arbeitslos wird, kann all seine Lebensersparnisse verlieren), einen riesigen Minilohn-Sektor mitten in einem der Länder mit der weltweit höchsten Produktivitätsrate geschaffen (was per se schon eine Perversion ist), prekäre Lebensverhältnisse, Abbau der Chancen für finanziell Schwächergestellte und Perspektivlosigkeit – während auf der anderen Seite die Unternehmensgewinne geradezu explodiert sind. Die Ungleichheit zwischen Arm und Reich war nie so hoch wie heute. Gleichzeitig wurde Deutschlands Produktivität in den Keller getreten, indem man die Bildung erodiert und wichtige Infrastrukturinvestitionen unterlassen hat, was in maroder Infrastruktur und damit einhergehend zum Abbau Deutschlands hoher Produktivitätsrate führte (das neoliberale Mantra vom „Diktat der klammen Kassen“) – und das nur, um den Reichen Steuerzahlungen erlassen zu können …
In der Konsequenz hat sich eine riesige Zahl Abgehängter gebildet, vorwiegend in den sogenannten „neuen Bundesländern“. Und die sagen nun: „Man kann ja niemanden mehr wählen.“ Leider! Sooo unrecht haben sie nicht. Denn alle Parteien im Bundestag außer der linken, die sich gerade sehr erfolgreich selbst zerlegt hat, sind bekennend neoliberal. Auch BSW, übrigens. Denn offiziell fordert Sahra Wagenknecht zwar die Rückkehr zum Keynesianismus / zur Sozialen Marktwirtschaft, aber sie ist politisch und ökonomisch bewandert genug, um zu wissen, dass die Rückkehr zu diesem Wirtschaftssystem ohne vorherige Grundgesetzänderung gar nicht möglich ist. Auch da hat die SPD hervorragende Arbeit geleistet, als sie geholfen hat, die Schuldenbremse im Grundgesetz zu etablieren und Neoliberalismus damit tatsächlich alternativlos zu machen.
Und wenn es keine Alternativen gibt, und es auch keine Wahlmöglichkeiten mehr gibt als nur neoliberale Parteien ohne Interesse, am Kern des Problems etwas zu ändern, dann … ??? Mich erinnert diese Situation fatal an das System der DDR. Dort gab es nur die SED, die für das Leitbild des „real existierenden Sozialismus“ stand und ein paar Blockflötenparteien, die sich dieser Position vorbehaltlos angeschlossen haben. Und von dieser Konstellation haben wir, durchaus mit Recht, gesagt, dass das keine Demokratie sei. Nur ist das bei uns mittlerweile nicht viel anders, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Es gibt „neoliberal“ in verschiedenen Farbtönen, in Gelb, in Schwarz, in Grün, in Rot oder in Hellblau-braun. Aber es gibt eben ausschließlich … neoliberal.
Und das, dass große Teile der Bevölkerung sich nicht mehr von einer demokratischen Partei repräsentiert fühlen, gefährdet die Demokratie selbst am allermeisten. Von der Rolle der Medien in diesem Spiel, über die man auch noch stundenlang reden könnte, will ich hier gar nicht erst anfangen. Die Glaubwürdigkeit der meisten politischen Parteien ist im Keller.
Was ich sagen will: Es gibt einen Grund, warum so viele Menschen die Schnauze gestrichen voll haben, und an dem Grund sind SPD und GRÜNE insofern mitschuldig, als dass sie lieber gemeinsame Sache mit den Interessen des Kapitals gemacht haben, anstatt sich ihrer politischen Aufgabe als echte Opposition zu stellen. Das Erstarken der AfD ist nicht die Krankheit der Demokratie, sie ist ein Symptom dieser Krankheit, die entweder mit der richtigen Medizin kuriert wird, und das bald, oder die in Kürze so richtig ausbricht und dann Gnade uns Gott!
Welche Änderungen und Neuerungen für die Gestaltung der Demokratie halten Sie für erforderlich und gangbar?
Das Grundgesetz ist meines Erachtens die bisher beste Verfassung, die wir in Deutschland je hatten. Sicher kann man auch darüber diskutieren, ob es nicht auch Verbesserungsbedarf gibt, aber das ist erstmal nicht der ausschlaggebende Punkt. Das Hauptproblem ist vielmehr: Es wurde ausgehöhlt. Teilweise hat man es den neoliberalen Interessen untergeordnet (Stichwort „Schuldenbremse“). Sogar Grundrechte hat man mittlerweile einkassiert und ganz vorne dabei? Ja, wieder SPD und Grüne! Vielleicht, um der AfD ein bisschen Wind aus den Segeln zu nehmen, hat man vor Kurzem erst das Grundrecht auf Asyl, das durch EU-Recht ohnehin schon sehr ausgehöhlt worden war, mal eben faktisch so gut wie abgeschafft, indem man die Asylverfahren jenseits der EU-Außengrenzen outgesourct und quasi privatisiert hat.
Im Übrigen - und das ist weitaus schlimmer - haben die Volksvertreter in Deutschland schon lange nicht mehr viel zu sagen. Ein Großteil der Gesetze ist der Umsetzung von EU-Richtlinien geschuldet und alle anderen Gesetze dürfen zu diesen nicht im Widerspruch stehen, sonst werden diese vom EuGH einkassiert. Das wäre ja soweit okay ... wenn die EU-Richtlinien selbst denn demokratisch und transparent entstünden.
Aber wer macht denn eigentlich die EU-Richtlinien?
Das sind ja dann wohl die Abgeordneten im EU-Parlament. Oder?
Mitnichten! Europa-Abgeordnete oder Parteien im EU-Parlament haben noch nicht einmal die Befugnis, Gesetzesentwürfe einzubringen. Das darf allein … die EU-Kommission. So viel zum Thema Gewaltenteilung! Wer konkret innerhalb der EU-Kommission macht das? Das sind die Generaldirektionen, Einrichtungen, die in etwa unseren deutschen Ministerien entsprechen. Innerhalb derer werden Richtlinien (die wiederum entsprechen unseren Gesetzen) von Expertengruppen ausgearbeitet. Und wer sitzt nun in diesen Expertengremien? Um es kurz zu machen: Ganz überwiegend werden diese Experten von Großunternehmen und Unternehmensverbänden gestellt … die übrigens von niemandem gewählt werden. Das Spiel könnte man fortsetzen: Wer bestimmt, was Unternehmensvertreter fordern? Maßgeblichen Einfluss übt hier BlackRock aus, die in allen DAX-Unternehmen sitzen, eine US-Vermögensverwaltungsfirma, die die Vermögen der Superreichen verwaltet.
Was man könnte und müsste man dagegen tun?
Schritt 1: Wir brauchen ganz dringend eine demokratisch ausgerichtete Reform der EU mit einer EU-Verfassung, einem Parlament, das dem Namen auch gerecht wird und echter Gewaltenteilung. Wir brauchen an dieser Stelle demokratische Prozesse anstatt Regierungsführung per SMS.
Schritt 2: Es ist sicherzustellen, dass Kapitaleigner keinen überproportionalen Einfluss gegenüber anderen Lobbygruppierungen einnehmen (können). Soweit es Unternehmen betrifft, sollte vielleicht auch geprüft werden, ob Firmen, die in Europa die Zahlung eines angemessenen Anteils am Solidarbeitrag für die Gesellschaft (Unternehmenssteuern) verweigern, nicht das Recht verlieren sollten, Geschäfte innerhalb der EU zu machen.
Schritt 3: Wir brauchen eine demokratische, nicht-neoliberale Alternative in der Parteienlandschaft. Wenn eine solche nicht mehr möglich ist, hat das Parteiensystem schlussendlich versagt und man muss womöglich über Alternativen nachdenken, wenn man die Demokratie nicht ganz verlieren möchte.
Was das Bündnis tun könnte und sollte:
Wer sich als Wächter der Demokratie geriert, sollte diesem Anspruch auch gerecht zu werden versuchen. Wegschauen und die Mitglieder mal machen lassen, ist da vielleicht keine wirksame Option.
Verstöße gegen den Geist der Demokratie müssen öffentlich angeprangert werden, und zwar insbesondere, wenn Bündnis-Mitglieder oder ihre Organisationen selbst da „mit drinstecken". So wird Druck zugunsten der Demokratie ausgeübt, denn jede Partei muss davon ausgehen, dass undemokratisches Verhalten sanktioniert wird oder zumindest auf breiter gesellschaftlicher Basis öffentlich angeprangert wird!
Das Bündnis müsste außerdem offensiv Öffentlichkeit für Demokratiedefizite erzeugen und aktiv für eine EU-Demokratisierung eintreten. Nur, wenn das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, besteht die Chance, dass die Politik auch handelt, denn bislang hat keine der großen Parteien dieses gewaltige Demokratiedefizit auch nur auf dem Schirm.