Was bewirken die Demos gegen rechts?

„Es kann in einem Aufruf gegen den Faschismus keine Aufrichtigkeit liegen, wenn die gesellschaftlichen Zustände, die ihn mit Naturnotwendigkeit erzeugen, in ihm nicht angetastet werden.“
Bertolt Brecht - Aus: Aufsätze über den Faschismus. 1933 bis 1939. 

Ich mache nur sehr selten Videos, denn das ist aufwändig, im Vergleich zum bloßen Verfassen von Texten. Hier mal wieder eine Ausnahme, denn das Thema ist wichtig und es brennt einem großen Teil der Gesellschaft auf den Nägeln.

Für diejenigen, die lieber lesen, hier die Transkription dazu:

Momentan wird ja sehr viel gegen Rechtsextreme demonstriert. Das ist gut, keine Frage. Wir alle wissen, was Rechtsextreme so machen und Rechtsextreme an der Regierung haben noch nirgendwo auf der Welt jemals etwas zum Guten bewirkt, weder in Polen, noch in Ungarn, noch in den USA unter Trump, noch in der Türkei, noch in Israel … und schon gar nicht bei uns, wie das dunkelste Kapitel von Deutschlands Geschichte gezeigt hat. Menschen- sowie Demokratieverachtung und Hass sind die denkbar schlechteste Basis, auf der Politik für eine Mehrheit der Bevölkerung stehen kann. Also ist alles, was Rechtsextreme einschüchtert oder sie klein macht oder hält, gut.

Ich selbst war auf mehreren Demos und Kundgebungen gegen die AfD – und doch, ich gestehe, dass ich zumeist etwas enttäuscht war. Viele Redner und Rednerinnen auf diesen Kundgebungen haben das in meinen Augen eigentliche Problem gar nicht erkannt oder es schlichtweg ignoriert. Ich weiß es nicht.

Das Problem sind meiner unmaßgeblichen Meinung nach doch gar nicht die paar überzeugten Nazis oder Neonazis. Unbelehrbare Arschlöcher gibt es in allen Teilen der Welt, natürlich auch hier, es hat sie schon immer gegeben und es wird sie auch immer geben. Nichts, was wir tun, kann daran auch nur das Geringste ändern. Und eine Demokratie sollte die paar Idioten aushalten können, jedenfalls, solange sie sich an die Gesetze und die demokratischen Spielregeln halten.

Ein Problem bekommen wir aber regelmäßig dann, wenn ausgerechnet diese Arschlöcher an die Macht kommen. Und wie kommen die an die Macht? In einer Demokratie, indem sie von einer relativ großen Zahl von Menschen einerseits gewählt, andererseits auf andere Weise unterstützt werden. Nicht die Nazis sind also das Problem, sondern die vielen Menschen, die sie allen Ernstes als „die Rettung in der Not“ oder „die Alternative zum abgehobenen Establishment“ sehen. Nicht, dass Nazis solchen Ansprüchen genügen könnten, dass sie halten könnten oder gar wollten, was sie versprechen. Es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Probleme, wer das ernsthaft glaubt, hat nur die Probleme nicht verstanden. Und ein Blick in Partei- und Wahlprogramme der AfD sowie in ihr Abstimmungsverhalten zeigt überdeutlich, dass ausgerechnet die ganz bestimmt nicht die Partei des sogenannten „kleinen Mannes“ sind, die seine Nöte lindern wollen – ganz im Gegenteil.

Und dennoch fahren sie bei Umfragen und Wahlen momentan Rekordergebnisse ein. Warum? Fragt doch einfach mal ihre Unterstützer und ihr bekommt eine Antwort, vielleicht keine, die euch gefällt, aber eine ziemlich eindeutige Antwort! Und die lautet: „Man kann ja niemanden mehr wählen.“

Sachlich mag diese Aussage nicht gerechtfertigt sein. Aber so ganz von der Hand zu weisen ist die These leider auch nicht. Schauen wir uns doch die Parteienlandschaft an! Die etablierten Parteien – das sind für mich die, die schon mal in Regierungsverantwortung waren – bilden, mit einer Ausnahme, auf die ich noch komme, einen in sich geschlossenen neoliberalen Block. Sie alle, FDP, CDU/CSU, die GRÜNEN und die SPD sind unverrückbar von der Alternativlosigkeit eines Wirtschaftssystems überzeugt, dessen Ziel und nachweisliches Ergebnis der letzten Jahrzehnte die Umverteilung von unten nach oben ist. Es ist ein System, das Menschenrechten, dem Gedanken der Gleichwertigkeit der Menschen und der Demokratie selbst spottet und das man definitiv nicht…  guten Gewissens als menschenfreundlich, fair oder sozial bezeichnen kann. Dieses System produziert Reichtum für wenige und Armut für viele, denn es basiert auf Ausbeutung, einerseits international, andererseits auch national. Viele fühlen sich deshalb abgehängt, ihre Interessen und Nöte werden nicht mehr artikuliert und werden im politischen Entscheidungsprozess schon lange nicht mehr als relevant erachtet – außer vielleicht im Wahlkampf, in dem ganz besonders die gute alte Tante SPD immer sehr gern links blinkt, um dann gleich nach der Wahl ebenso regelmäßig scharf rechts abzubiegen. Die jetzige Bundesregierung ist davon leider keine Ausnahme.

Und davon haben viele Leute, insbesondere die, die es betrifft, einfach die Schnauze gestrichen voll! Na gut, wen sollen die denn dann wählen?

Also … wen wählen, wenn man endlich eine menschliche, faire und soziale Politik will, in der es Chancengleichheit für alle gibt und keiner Angst um seine Existenz haben muss? Also, mir fällt die Antwort darauf schon schwer und ich beschäftige mich ziemlich intensiv mit Politik. Jemandem, der sich vielleicht nicht so intensiv damit beschäftigt, mag die Antwort noch schwerer fallen … oder einfacher, immerhin gibt es eine Partei im Bundestag, die das Wort „Alternative“ sogar im Parteinamen trägt und die von allen etablierten Parteien gefürchtet wird, so sehr, dass diese teilweise sogar deren Sprache und deren Forderungen übernehmen, wie kürzlich erst das Ziel der Quasi-Abschaffung des Asylrechts. Das, möchte ich hinzufügen, überhaupt erst als Antwort auf die Nazi-Diktatur im Grundgesetz verankert worden ist, denn Millionen Deutsche wurden getötet, weil sie im Ausland keine Zuflucht gefunden haben. Die AfD tut das, was sie angekündigt hat, sie treibt die anderen Parteien vor sich her und verschiebt den Diskurs und die Grenzen des Sag- und Machbaren deutlich nach rechts.

Die klassischen Appelle erreichen die Abgehängten längst nicht mehr. Als bekannt wurde, dass der Freie-Wähler-Vorsitzende Aiwanger in seiner Jugend stramm antisemitische Flugblätter verteilt hat, wurde er nicht etwa mehrheitlich zum Rücktritt gedrängt, nein, im Gegenteil. Er hat an Popularität zugelegt. „Einer, der sich was traut“, halt, einer gegen das Establishment. Der Abscheu vor der „Mehrheit“ und ihren als verlogen wahrgenommenen Werten, ist groß und nicht unberechtigt – man braucht sich nur die sogenannte „wertegeleitete“ und stets mit zweierlei Maß messende Außenpolitik von Annalena Baerbock anzusehen, ein Symbol für alles, womit die Ampelparteien (und natürlich auch die Union) von vielen identifiziert wird.

In diesem Abscheu, in dieser Verachtung liegt die eigentliche Gefahr für unsere Demokratie. Man traut den etablierten Parteien nicht mehr zu, an einer echten Lösung interessiert zu sein. Und gerade die SPD spielt in diesem Spiel eine besonders unrühmliche Rolle, denn sie steht ganz offen für eine Politik, die ihrem eigenen Parteiprogramm diametral widerspricht. Der Anspruch, die Partei der kleinen Leute zu sein – wo ist er? Solange sie, von wenigen eher unwesentlichen Details abgesehen, dieselbe Politik zu verantworten hat wie die rechten Parteien, ist sie doch nicht die wählbare Alternative, die die Menschen sich wünschen.

Aber sie könnte es sein. Und sie sollte es sein. Ich kenne jede Menge SPD-Mitglieder an der Parteibasis, die genau dafür einstehen. Die sollten sich endlich Gehör verschaffen in dieser, ihrer Partei, die sollten endlich mit Nachdruck dafür einstehen, dass die Leute an der Spitze sich wieder mehr dem Parteiprogramm und nicht mehr dem neoliberalen Seeheimer Kreis verpflichtet fühlen, denn nur das Ausscheiden der SPD aus dem neoliberalen Block, möglichst noch, während sie an der Regierung ist (in der Opposition sind Worte auch immer sehr wohlfeil …), könnte ein echtes Zeichen der Hoffnung setzen. DAS könnte eine Lösung sein, denn dass die von der CDU/CSU, die der AfD in der Vergangenheit so oft den roten Teppich ausgerollt haben, beschworene Brandmauer nach rechts hält, kann getrost bezweifelt werden. Also ruht Hoffnung wohl tatsächlich nur auf der SPD, der Partei, die sich selbst „sozialdemokratisch“ nennt.

Aber dazu müsste die SPD über ihren eigenen Schatten springen, ihre politische Vergangenheit der letzten Jahrzehnte aufarbeiten und einen radikalen Kurswechsel einleiten.

Kann sie das?
Will sie das überhaupt? 

Ich hoffe es. Denn wenn sie es nicht kann oder will, war es das womöglich endgültig mit Grundgesetz, Menschenwürde, Demokratie, Meinungs- und Pressefreiheit und Frieden. Denn ein neoliberales „Weiter so!“ wird künftig nicht weniger, sondern mehr Abgehängte produzieren und damit mehr Gefolgschaft für rechtsextreme, sogenannte „Alternativen“. Und daran werden alle Demos und Kundgebungen gegen rechts nichts ändern, so gut sie auch gemeint sind. Und das können wir alle nicht wollen. Nicht wirklich!