Leseprobe "Die Diktatur des Monetariats"

Anmerkung: Dieser Textauszug wird ohne die im Buch vorhandenen Endnoten und Zitatnachweise wiedergegeben. Im Gegenzug sind die angegebenen Links hier (im Gegensatz zum Buch) direkt anklickbar ...

TEIL 1: Was genau ist Neoliberalismus?

1.1. Begriffsbestimmung

Carl Friedrich von Weizsäcker, Physiker und Bruder des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, sagte bereits 1983 den Untergang der Sowjetunion innerhalb weniger Jahre voraus. Er prophezeite darüber hinaus unter anderem in einem in dem Buch „Der bedrohte Frieden“ veröffentlichten Aufsatz:

„Um ihre Herrschaft zu sichern, werden diese Eliten frühzeitig den totalen Überwachungsstaat schaffen und eine weltweite Diktatur errichten. Die ergebenen Handlanger dieses Geldadels werden korrupte Politiker sein. Die Kapitalwelt fördert einen noch nie da gewesenen Faschismus. Zum Zweck der Machterhaltung wird man die Weltbevölkerung auf ein Minimum reduzieren. Dies geschieht mittels künstlich erzeugter Krankheiten. Hierbei werden Bio-Waffen als Seuchen deklariert, aber auch mittels gezielter Hungersnöte und Kriege. Die Menschheit wird nach dem Niedergang des Kommunismus ein skrupelloses und menschenverachtendes System erleben, wie es die Welt noch nie erlebt hat. Das System, welches für diese Verbrechen verantwortlich sein wird, heißt ‚unkontrollierter Kapitalismus'“

Den Begriff „Neoliberalismus“ im heutigen Sinne kannte von Weizsäcker damals noch nicht, aber er meinte genau dieselbe Sache, wenn er von unkontrolliertem Kapitalismus spricht. Neoliberalismus heutigen Zuschnitts war zu jener Zeit noch ziemlich frisch als Kampfbegriff oppositioneller Wirtschaftswissenschaftler aus Chile verwendet worden, dem Land, das als erstes als Versuchskaninchen für die neoklassische Lehre der Chicagoer Schule diente.

Der Begriff des Neoliberalismus war ursprünglich allerdings nicht so negativ belegt wie heute.

Sehen wir uns zunächst einmal die Herkunft an: Liberalismus kommt aus dem lateinischen Wort „liberalis“, was „Die Freiheit betreffend“ bedeutet. Dieser Begriff stammt aus der Aufklärung und wurde wohl erstmals im Nachklang der englischen Revolutionen des 17. Jahrhunderts gebraucht. Freiheit in diesem Sinne wird verstanden als politische, ökonomische, aber auch soziale Freiheit. Liberalität ist Voraussetzung für weitgehend selbstbestimmtes Leben, mithin für Individualität und die Suche nach persönlichem Glück.

Somit per se nichts Negatives. Einer, der sich mit diesem für die damalige Zeit neuen Freiheitsgedanken intensiv beschäftigte, war der schottische Nationalökonom Adam Smith, der in der Wirtschaftswissenschaft heute als Vater des Liberalismus gilt. Wir kommen im nächsten Kapitel wieder auf die Lehren Smiths zurück.

Das „Neo“ deutet eine Rückkehr zu den und gleichzeitig eine Erneuerung der Gedanken an, die auf Adam Smith zurückgehen. Diese positive konnotierte Verwendung des Begriffs herrschte bis in die Mitte des 20. Jahrhundert vor. Die besondere Gewichtung des Neoliberalismus in dieser, seiner ursprünglichen Bedeutung, war die Untersuchung der Auswirkungen der Ordnungspolitik, die Bedeutung privatwirtschaftlicher Initiative und die Untersuchungen von Wettbewerbsverzerrungen aufgrund privater oder staatlicher Einflüsse. Unter Neoliberalismus wurden sowohl der Ordoliberalismus der Freiburger Schule (Walter Eucken), als auch der Laissez-Faire-Liberalismus der Chicagoer Schule (auch Neoklassische Schule, Milton Friedman) oder der Österreichischen Schule (Friedrich von Hayek) gerechnet. In Worten des normalen Lebens: Das System der sozialen Marktwirtschaft, das nach dem Krieg in Deutschland etabliert wurde, fiel demnach ursprünglich ebenfalls unter diesen Begriff, denn über allem schwebte der Grundgedanke der individuellen Freiheit, Liberalismus im wahren Sinne des Wortes, also.

Zu einer Umdeutung des Begriffs kam es wie gesagt erst in den 80er Jahren durch chilenische Wirtschaftswissenschaftler, aus gutem Grund: Zum ersten Mal wurde in Chile 1970 mit Salvador Allende ein sozialistischer Präsident gewählt. Drei Jahre später wurde dieser vom Militär entmachtet und tötete sich ob der Aussichtslosigkeit seiner Situation wohl selbst. Mittels des gegenüber den USA und den neoklassischen Jüngern des Wirtschaftswissenschaftlers und Nobelpreisträgers Milton Friedman gefügigen Diktators Augusto Pinochet wurde – neben zahllosen Menschenrechtsverletzungen – Chile ein Wirtschaftssystem übergestülpt, das Armut für viele und Reichtum für wenige brachte. Im nächsten Kapitel werde ich auf diese Thematik näher eingehen.

Im Folgenden werden wir den Begriff „Neoliberalismus“ im Sinne der chilenischen Oppositionellen verwenden: Als Begriff für einen Raubtier-Kapitalismus, der …

  • rein auf ökonomischen (!) Liberalismus abstellt, während politischer Liberalismus durchaus gerne auf der Ersatzbank Platz nehmen darf;

  • vorgibt, der neoklassischen Lehre zu folgen und der

  • wie wir noch sehen werden, wortwörtlich über Leichen geht.

Diese Begriffsabgrenzung halte ich deshalb für so wichtig, weil Neoliberale gerne den alten, positiv konnotierten Begriff für sich in Anspruch nehmen, während sie in Wirklichkeit etwas völlig anderes, den Neoliberalismus neuer Prägung vertreten.

Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich einige andere Begriffe einführen und gegeneinander abgrenzen, und zwar die Begriffe Marktwirtschaft und Kapitalismus, zumal diese oftmals, insbesondere von Linksgerichteten, allzu oft synonym verwendet werden. Dies kann sich in einer Diskussion aber als fatale Falle herausstellen, wenn es dem politischen Gegner wissentlich oder „aus Versehen“ gelingt, Kritik am Neoliberalismus als Kritik am Kapitalismus oder gar der freien Marktwirtschaft umzudeuten. In einzelnen Diskussionspunkten mag solch verallgemeinernde Kritik ja auch durchaus einmal zutreffen, eine Verallgemeinerung verkennt aber die wesentlichen Unterschiede und damit auch die darin verborgenen Lösungsansätze.

Private Marktwirtschaft und globaler Handel sind beileibe keine Errungenschaften der Neuzeit. Als Howard Carter im Grab Tutanchamuns einen baltischen Bernstein fand, stand fest, dass es selbst im Altertum Handelsbeziehungen zwischen fernen Ländern gegeben haben musste. Handel, zunächst in Form von Tauschgeschäften, später mittels Edelmetallen und Geld, war von Anbeginn an ein Element, das die Menschen miteinander verband, indem Güter weiträumig ausgetauscht wurden. Das römische Reich lieferte an der Erzfeind Germanien Schmuck und Wein und bekam dafür Holz und Bleibarren. Im Mittelalter kamen Gewürze aus Indien und die Fugger und andere Familien verdienten sich eine goldene Nase. Dennoch würde wohl niemand auf die Idee kommen, diese Epochen als Kapitalismus zu bezeichnen. Von letzterem spricht man erst, wenn die Gewinnerzielung und die Akkumulation, also die Anhäufung von Kapital in einer Hand, in den Vordergrund des wirtschaftlichen Interesses gerät. Natürlich gibt es durchaus Parallelen zwischen beispielsweise Merkantilismus und Kapitalismus, aber diese sollen hier nicht weiter diskutiert werden; hier soll lediglich dargestellt werden, dass Kapitalismus lediglich (und vereinfacht ausgedrückt) eine Teilmenge der Marktwirtschaft ist, weil durchaus auch andere, nicht-kapitalistische Formen der Marktwirtschaft existieren. Wenn man einen Gegensatz zur Marktwirtschaft bemühen wollte, ließe sich die Planwirtschaft anführen, bei der weder etwas dem Zufall, noch einzelnen Individuen, die autark voneinander agieren, überlassen wird. Man könnte auch Mischformen der Plan- und der Marktwirtschaft anführen, wie sie zum Beispiel in Kuba existiert.

Marktwirtschaft und dem Sozialismus ähnliche Systeme schließen einander, wie die Geschichte zeigt, durchaus nicht aus. Sowohl bei den Ägyptern als auch bei den Römern oder beispielsweise bei den Inka in Peru wurden Nahrungsmittel zentral verwaltet und ausgegeben, wenn man so will, im Rahmen der Daseinsvorsorge. In Peru trauern viele Menschen bis heute dem System der Inka nach (trotz des ansonsten absolutistischen Charakters dieses Regierungssystems), weil dies die einzige geschichtliche Epoche des Landes war, in der niemand Hunger leiden musste.

Gleichwohl gab es in all diesen Zivilisationen Märkte, in denen man sich Kleidung, Luxusartikel und dergleichen kaufen konnte.

Kapitalismus und Neoliberalismus lassen sich ebenfalls nicht gleichsetzen. Zwar ist Neoliberalismus in jedem Fall auch Kapitalismus, aber nicht umgekehrt ist jede Form der Kapitalismus gleichzeitig Neoliberalismus im hier verwendeten Kontext. Im Kapitel über die theoretischen Grundlagen werde ich auf die Unterschiede detaillierter eingehen. Hier nur so viel: Auch die soziale Marktwirtschaft, die unter Ludwig Erhard ihren Siegeszug angetreten hat, ist letztendlich eine Form des Kapitalismus, ein Kapitalismus, dem rigide Grenzen gesetzt wurden, wenn man so möchte, während Neoliberalismus weitgehend dereguliert ist, die Marktteilnehmer also immer weniger Gebote beachten und immer weniger zum Gemeinwohl beitragen müssen.

1.2. Die Geschichte des Neoliberalismus

Wer sich nur für die aktuelle Situation interessiert, mag dieses Kapitel gern überspringen. Ich persönlich halte es für sehr wichtig, zu verstehen, was wann durch wen organisiert und gemacht wurde, um ein Wirtschaftssystem zu installieren, welches das gesamte globale Machtgefüge durcheinandergewirbelt hat und sich – so scheint es – fast schon irreversibel in Diktaturen ebenso wie in Demokratien festgesetzt hat.

1.2.1. Die Geburt des Neoliberalismus

Lassen Sie uns der Einfachheit halber mit dem schon erwähnten Adam Smith beginnen, dem schottischen Nationalökonomen, der von 1723 bis 1790 lebte, der also den Beginn der sogenannten industriellen Revolution hautnah miterlebte. Seine Kernaussage lautet in etwa, dass das allgemeine, gesellschaftliche Glück maximiert werden würde, indem jedes Individuum im Rahmen seiner gesellschaftlichen Grenzen versucht, sein persönliches Glück zu erhöhen. Wir werden auf die Kernthesen Smiths im folgenden Kapitel (theoretische Grundlagen) wieder kurz, aber etwas detailreicher zurückkehren. Smith war nicht der einzige Nationalökonom, der sich Gedanken über das Funktionieren der Wirtschaft auf mikroökonomischer (den Einzelnen betreffend) und makroökonomischer (alle „Teilnehmer“ an einer Volkswirtschaft betreffend) Ebene gemacht hat, aber er war einer der ersten, der diese ähnlich wie nach ihm Karl Marx in einem „globalen“ Konzept zusammengefasst hat. Vieles aus seiner Feder wurde vielleicht nicht ganz ohne Hinterlist fehlinterpretiert, wie zum Beispiel die „unsichtbare Hand des Marktes“, die ihm immer wieder zugeschrieben wird.

Smith war nicht nur als Theoretiker ein Meilenstein, er hatte auch Gelegenheit, einen gesellschaftlichen Wandel zu beobachten, denn die Epoche, in der er lebte, kann man vielleicht auch als die Geburtsstunde des Kapitalismus ansehen. Die industrielle Revolution beginnt mit der Erfindung der Dampfmaschine, mittels deren Kraft man plötzlich Maschinen antreiben kann, die immer wiederkehrende, stupide Bewegungsabläufe erheblich beschleunigen und somit den Produktions-Output deutlich zu steigern vermögen. Viele Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (insbesondere in den Webereien) verlieren dadurch ihre Arbeitsstelle. Warum beginnt hier Kapitalismus? Nicht wegen der Ausbeutung, die hat es seit Anbeginn der Zeit unter Menschen gegeben, unabhängig vom Regierungs- oder Wirtschaftssystem. Man denke nur an die Arbeiter, die gegen Kost und Logis die Pyramiden in Gizeh zu errichten hatten oder die Sklaven Roms. Ausbeutung ist durchaus keine neue Errungenschaft des Kapitalismus.

Um eine Fabrik zu betreiben, wird es plötzlich nötig, über Kapital zu verfügen. Man braucht große Hallen, um die Maschinen vor der Witterung (oder vor Sabotage) zu schützen, die Maschinen selbst kosten zunächst ein Heidengeld. Nur wirklich Reiche können in dieses Geschäft einsteigen und das ist teilweise noch immer so. Eine Automobilfabrik benötigt dermaßen viel Kapital, dass es entweder nur durch einen Superreichen oder ein Konsortium aus Reichen oder vielen, vielen Aktionären einerseits (also privat) oder durch den Staat andererseits (man denke an die Volkswagen AG während der Nazi-Diktatur oder an Trabant oder Wartburg in der DDR) aufgebracht werden kann. Die Anhäufung von Kapital (Kapitalakkumulation) ist also zunächst nicht unbedingt ein Selbstzweck, sondern eröffnet die Möglichkeit, wenn nötig oder gewünscht die Mittel an der Hand zu haben, um zeitnah im großen Stil investieren zu können. In solchen Fabriken kann nun weit mehr – und günstiger – produziert werden als zuvor, die Produktivität steigt an.

Gleichzeitig erlebt der technische Fortschritt einen bis heute anhaltenden Aufstieg. Dies geht einher mit Bevölkerungswachstum, aber auch mit Land-/Stadt-Flucht und mit neuen sozialen Problemen, ausgelöst unter anderem durch nicht vorhandene Infrastruktur (fehlender angemessener Wohnraum) oder prekär vergütete Arbeitsverhältnisse.

Karl Marx schreibt „Das Kapital“. Seit dieser Zeit etablieren sich die „Kapitalisten“ zunehmend als die wirtschaftlich dominierende Klasse, eine Entwicklung, die auch von zwei Weltkriegen und diversen Systemwechseln nicht unterbrochen werden kann. Wirtschaftswissenschaftler und Politiker grübeln darüber nach, welches die rechte Vorgehensweise im Umgang mit dieser neuen Macht sein könnte. Einfach machen lassen? Der Markt wird’s schon richten? Der französische Begriff „Laissez-faire“, der für die neoliberale Wirtschaftsauffassung steht, besagt genau dies. Oder ordnungspolitisch an die Kandare nehmen und dem Staat Dominanz über die Wirtschaft zu gewähren?

Italien geht einen Sonderweg. Unter Benito Mussolini verbünden sich Politik, Wirtschaft und Militär miteinander, um ihre Interessen gemeinsam durchzusetzen, ohne dass dagegen Widerstand möglich wäre. Unter dem Logo gebündelter Ruten („fasces“), die seit dem alten Rom als ein Symbol der Stärke stehen, etabliert sich der Faschismus. Adolf Hitler geht in Deutschland einen ähnlichen Weg.

In den USA ist Demokratie die offizielle Staatsform. Doch auch hier bekommen die Politiker die starke Hand des Kapitals mittlerweile massiv zu spüren. In einer Rede beklagt Franklin Delano Roosevelt, 32. Präsident der Vereinigten Staaten: „We had to struggle with the old enemies of peace — business and financial monopoly, speculation, reckless banking, class antagonism, sectionalism, war profiteering. They had begun to consider the Government of the United States as a mere appendage to their own affairs. We know now that Government by organized money is just as dangerous as Government by organized mob.“ – „Wir hatten gegen die alten Feinde des Friedens zu kämpfen – Geschäfts- und Finanzmonopole, Spekulation, rücksichtsloses Banking, Klassengegensätze, Partikularismus, Kriegsgewinnlerei. Sie hatten begonnen, die Regierung der Vereinigten Staaten als ein bloßes Anhängsel ihrer eigenen Interessen anzusehen. Wir wissen jetzt, dass Regierung durch organisiertes Geld genauso gefährlich ist wie Regierung durch einen organisierten Mob.“

Doch während in Europa die Klasse der Kapitaleigner noch weitgehend freie Hand hat, in Deutschland und Italien zumindest insoweit, als sie ihre Ziele denen ihrer autokratischen Staatsführer unterordnen (offensichtlich kein allzu großes Problem, schließlich lässt sich auch am Krieg ganz prächtig Geld verdienen), will Roosevelt in den USA die Karten neu mischen. Er ruft den „New Deal“ (englischer Ausdruck für das Ausgeben neuer Spielkarten – eigentlich waren es zwei New Deals, einer vor, einer nach der Wiederwahl Roosevelts) aus und initiiert in dem von der Weltwirtschaftskrise und den von ihm im obigen Zitat genannten Profitgeiern gebeutelten Amerika weitreichende Reformen. Sozialstaatliche Neuerungen nach europäischem Vorbild werden eingeführt (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung). Im arbeitsrechtlichen Bereich wird beispielsweise das Streikrecht gesetzlich verankert und ein Mindestlohn eingeführt. Das Banken- und Finanzwesen wird reguliert, letzteres, damit sich ein Börsencrash wie der von 1929 nicht wiederholen konnte. Leider werden die Reformen der New Deals insbesondere unter den Nachfolgern Roosevelts nicht mehr ganz so energisch weiterverfolgt, sodass viele Aspekte seiner Sozialreformen im Ansatz steckengeblieben sind. Die weitreichendste und vermutlich durchschlagendste Reform aber ist ein Paradigmenwech­sel in der Geldpolitik. Um wirtschaftliche Depression mittels staatlicher Maßnahmen wirksam begegnen zu können, wird die Koppelung der Währung an staatlicherseits gelagerte Goldbestände aufgehoben. Im Zuge dessen werden auch die Verträge von Bretton Woods abgeschlossen, die diesen Schritt international absichern, indem feste Wechselkurse zwischen den Währungen der teilnehmenden Länder beschlossen werden, wobei der Dollar als Leitwährung fungiert. Zusammen mit den Finanzmarktregulierungen des New Deal wird somit Währungsspekulanten wirksam das Handwerk gelegt. Aber die Verträge haben einen weiteren, wesentlichen Effekt: Das Hilfsmittel, der einheimischen Wirtschaft Vorteile gegenüber ausländischen Konkurrenten über nationale Währungsabwertungen zu verschaffen, hat ausgedient. Wettbewerb zwischen Ländern erfolgt daher innerhalb eines fest vorgegebenen Rahmens, einer der Faktoren, die den Spielraum dafür schaffen, dass gute Löhne ausgehandelt und hohe von den Wirtschaftsteilnehmern hohe Steuern kassiert werden, die wiederum eine hohe Staatsquote und umfangreiche Sozialleistungen ermöglichen. Das Ergebnis ist bekannt: Niemals in der Geschichte der Menschheit, weder vorher noch nachher, kommt es zu einem dermaßen starken Anstieg des Wohlstandes einer breiten Bevölkerungsmehrheit in den Ländern des westlichen Europas und den USA. Die soziale Marktwirtschaft in Deutschland, die zunächst auch eingeführt wird, um dem „Erzfeind“ DDR zu zeigen, dass man in Sachen Sozialpolitik dem sogenannten „real existierenden Sozialismus“ des Ostens in nichts nachstünde, blüht in diesem Umfeld geradezu auf. Millionen Menschen können sich endlich etwas leisten, was zuvor als unerreichbarer Traum in weiter Ferne scheint: Fernseher, Auto, Waschmaschine, der Urlaub in Italien. Ist es ein Wunder, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland daher den Kapitalismus (soziale Marktwirtschaft ist, wie gesagt, auch eine Form des Kapitalismus) für diesen riesigen Wohlstandszuwachs verantwortlich machen? Viele übersehen dabei aber leider, dass es gerade die Zurückdrängung des ungezügelten Kapitalismus war, ermöglicht durch Roosevelts New Deals und die Verträge von Bretton Woods, die diese Entwicklung überhaupt erst bewirkt hat.

Doch dieser Fortschritt hält nicht lange. Insbesondere in den USA mucken die Kapitaleigner auf. Das Geld, das sie „verdienen“, fließt ihnen nicht uneingeschränkt zu, sondern wandert als Kosten in die Taschen von Angestellten, während ein großer Teil ihrer Gewinne in die Staatskasse fließt. Gefühlte Ungerechtigkeit macht sich breit in der Gesellschaftsschicht der Unternehmenden und Investierenden. Diese Menschen finden ihren Fürsprecher in Milton Friedman, einem der „Väter“ unseres Neoliberalismus. Er und seine Anhänger gelangen durch entsprechend mächtige Protektion bald in exponierte Positionen. In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bitten sie Präsident Richard Nixon, beweisen zu dürfen, dass die Neoklassik (zu den theoretischen Grundlagen mehr im nächsten Kapitel) das bessere Wirtschaftssystem sei.

Nun wird im Jahr 1970 in Chile just ein sozialistischer Präsident gewählt, Salvador Allende. Nach Kuba und Vietnam et cetera ist eine weitere Ausbreitung des Sozialismus ein wahrer Albtraum für Washington. Als sich die Lage im gesellschaftlich tief gespaltenen Chile unter Allende im Lauf der Zeit immer instabiler entwickelt, begreift man diese Situation als Gelegenheit und beschließt, zusammen mit den Chicago Boys ([ehemalige] chilenische Wirtschaftsstudenten, Anhänger von Milton Friedmans Chicagoer Schule) und der CIA, einen gewaltsamen Politikwechsel in Chile herbeizuführen. Treibende Kraft ist der spätere Friedensnobelpreisträger und US-Außenminister Henry Kissinger. Der chilenische General Pinochet erhält die volle Unterstützung der USA und erklärt sich im Gegenzug bereit, sein Land als Versuchskaninchen für neoklassische Wirtschaftspolitik zur Verfügung zu stellen. Das Experiment ist „erfolgreich“. Ein Militärputsch treibt Allende in den Freitod. Tausende von Chilenen sterben oder verschwinden für immer, Hunderttausende fliehen ins Ausland, Millionen weitere verarmen. Menschenrechte und Demokratie gehen für viele Jahrzehnte den Bach hinunter. Aber: Das Land entwickelt sich prächtig, wenn auch nicht für die weit überwiegende Bevölkerungsmehrheit. Als einziges Land in Südamerika schafft Chile es, sich als Mitglied der OECD, dem exklusiven Club der sogenannten „entwickelten Länder“, zu etablieren. Allerdings ist die Ungleichheit bei der Einkommens- und Vermögensverteilung in Chile so groß, wie in keinem anderen OECD-Land. Und noch etwas ist geschehen, etwas, das vermutlich selbst Milton Friedman niemals beabsichtigt hatte: ein Monster wurde geschaffen, menschenverachtend, gewalttätig, suppressiv, über Leichen gehend, das von chilenischen Wirtschaftswissenschaftlern völlig zu Recht nicht als Neoklassik bezeichnet wurde, sondern einen Namen erhielt, der zunächst in linken Kreisen (aber heute längst nicht mehr nur dort) zum Kampfbegriff für den entfesselten Kapitalismus wurde: der Neoliberalismus. Was allerdings die maßgeblichen Akteure nicht davon abhält, diesen Stück um Stück fester in der Welt zu verankern.

Der Legende nach beginnt der Neoliberalismus in dem Augenblick, Mainstream zu werden, als Professor Arthur Betz Laffer bei einem Abendessen mit einem gewissen Ronald Reagan eine Kurve (die sogenannte Laffer-Kurve; er hat sich dazu einen Gedanken von John Meynard Keynes ausgeliehen und diesen stark vereinfacht und damit pervertiert) auf eine Serviette malt, der zufolge Staatseinnahmen steigen, wenn die Steuersätze sinken. Nun war Präsident Reagan bekanntlich ein Mann, der einfache Antworten auf komplizierte Fragen liebte und damit fällt der Startschuss für den Beginn der sogenannten Reagonomics, was der damals gebräuchliche Ausdruck für Neoliberalismus wird. Vermutlich ist diese Geschichte, die beispielsweise der Kabarettist Max Uthoff gerne kolportiert, wirklich nicht mehr als eine Legende, wenn auch sicherlich eine mit einem wahren Kern. Dennoch beginnt unter US-Präsident Reagan der unaufhaltsame Siegeszug des Neoliberalismus – und das, obwohl die Staatseinnahmen trotz der Steuersenkung – welch Überraschung! - erst einmal rapide in den Keller gehen. Sie erholen sich zwar mit den Jahren wieder und es werden mit der Zeit tatsächlich höhere Staatseinnahmen kreiert. Es mag sogar ein kurzzeitig positiver Effekt von höheren Staatseinnahmen durch niedrigere Steuern nachweisbar sein, aber der dürfte sich in erster Linie aus der Tatsache ergeben, dass Investoren ihre Gelder vorzugsweise in Niedrigsteuerländern anlegen und unter Reagan Investitionen aus dem Ausland in die USA verlagern, was dort zu mehr Wertschöpfung und Beschäftigung und letztlich zu höheren Staatseinnahmen führt. Doch ist dies eigentlich nur ein Schmarotzer-Effekt, der zulasten anderer Länder mit höheren Steuersätzen geht. Diese werden sich die Absenkung ihrer Wirtschaftsleistung natürlich nicht lange ansehen wollen und können und werden im Gegenzug ihre Steuern ebenfalls senken müssen, um Investoren zu halten oder zu gewinnen. Man erkennt mühelos, wohin das führt: in einen Wettbewerb um die niedrigsten Steuersätze. Sobald es soweit kommt, gehen die Staatseinnahmen der betroffenen Länder allesamt nach unten, denn irgendwann läuft der Mitnahme-Effekt sich einfach tot. Die tragische Konsequenz dabei ist allerdings: Die Staatsquote sinkt. Weltweit! Somit auch die Budgets für Sozialausgaben. Einen Gewinner gibt es bei der Sache allerdings: Unternehmer und Investoren. Ein weiterer Punkt spricht nicht gerade für die Laffer-Kurve: Da man nicht weiß, wie sich die Staatseinnahmen ohne die Senkung der Steuersätze entwickelt hätten, ist es müßig, zu behaupten, sie wären im Vergleich zur Ur-Situation angestiegen, weil das nicht mehr als eine nicht beweisbare Behauptung ist.

England nimmt gleichzeitig eine mit dem Begriff „Thatcherismus“ beschriebene, ganz ähnlich ausgerichtete Entwicklung. Dass Margaret Thatcher beste Beziehungen zum chilenischen Putschisten und Machthaber Pinochet unterhält, ist vermutlich bloßer Zufall. Ihr Fokus liegt von Anfang an auf der Bekämpfung der Inflation per Geldpolitik. Unter ihr werden die Unternehmenssteuern gesenkt, Subventionen für Staatsbetriebe gestrichen und diese privatisiert. Die Finanzmärkte werden dereguliert. Die Macht der Gewerkschaften wird gebrochen, Gesundheits- und Rentensystem „gesundgeschrumpft“. Als die Proteste gegen ihre Politik dazu zu führen drohen, dass die Wiederwahl für eine zweite Amtszeit gefährdet wird, rettet ein Wunder ihre Karriere: Der argentinische General und Junta-Chef Leopoldo Galtieri versucht, die zu England gehörenden Falklandinseln wieder Argentinien einzuverleiben. Die „Eiserne Lady“ reagiert ihrem Spitznamen entsprechend, sichert sich so die Wiederwahl und baut den Neoliberalismus noch weiter aus.

Bundeskanzler Gerhard Schröder, (SPD) und seinem Vizekanzler „Joschka“ Fischer (Bündnis 90 / Die Grünen) richtet Jahre später seine Partei nach Vorbild bereits auf diesem Weg vorausgeeilter Sozialdemokraten anderer europäischer Länder, darunter die britische Labor-Party, auf einen Rechtsruck aus, den er die „Neue Mitte“ nennt. Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit, der Umkehrung der Alterspyramide und der Hilflosigkeit der Kohl-Regierung diesen Problemen gegenüber, sucht er – hochkarätig beraten von Unternehmer-Freunden – sein Heil darin, dem offen praktizierten Neoliberalismus als Geburtshelfer auch in Deutschland die Türe zu öffnen, ein Vorgang, der schließlich durch die Agenda 2010 die Politik seiner und aller nachfolgenden Regierungen maßgeblich beeinflussen wird.

1.2.2. Der heimliche Systemwechsel am Beispiel Deutschlands

Auch in Deutschland kommt der Neoliberalismus (ebenso wie in den USA oder in Großbritannien) nicht aus ganz so heiterem Himmel, wie das im Kapitel zuvor bewusst stark vereinfacht suggeriert wurde. Kanzler Gerhard Schröder ist mitnichten die treibende Kraft, ihm wird lediglich die Rolle des ausführenden Organs zuteil. Der Systemwechsel wurde von Seiten des Unternehmerlagers vielmehr von langer Hand vorbereitet. Wenn die Geburtsstunde des Neoliberalismus mit der Formulierung und Umsetzung der Agenda 2010 auf das Jahr 2003 datiert werden kann, dann hat die Zeugung des Babys etwa im Jahr 1982, also 20 Jahre zuvor, stattgefunden. Unter der mutmaßlichen Federführung der FDP beginnt, weitgehend unbemerkt von der Gesellschaft, ein Paradigmenwechsel, als die FDP die Koalition mit Kanzler Helmut Schmidt aufkündigt. Helmut Kohl kommt mit Hilfe der Gelben für ganze 16 Jahre an die Macht. Der wirtschaftspolitische Leitfaden seiner Regierung ist zumindest teilweise das sogenannte Lambsdorff-Papier, so benannt nach seinem ranghöchsten Verfasser, Otto „Marktgraf“ Lambsdorff. Co-Autoren waren Hans Tietmeyer, der uns im späteren Verlauf des Buches wieder als maßgeblicher neoliberaler Akteur begegnen wird, und der damalige Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Otto Schlecht. Das Papier galt 1982 noch mit Recht als unvereinbar mit den Prinzipien der Sozialdemokratie, sodass es letztlich als der Hauptauslöser des Koalitionsbruchs zwischen der FDP und der SPD ausgemacht werden kann. Es folgt im Wesentlichen den Positionen des Thatcherismus und der Reagonomics und beschreibt als Ziele: Konsolidierung des Staatshaushalts, Rücknahme der Staatsquote, Investitionsanreize und Deregulierungen.

Im Zuge des Regierungswechsels erfolgen Privatisierungen (Post, Bahn), Senkungsmaßnahmen für Löhne / Lohnnebenkosten, Sozialabbau. Einher geht damit eine mit hervorragender Medienunterstützung lancierte Marketing-Kampagne, in der unter anderem der Spruch „Leistung muss sich wieder lohnen“ propagiert wird und das Sozialsystem (samt der davon Abhängigen) als „soziale Hängematte“ beziehungsweise die Empfänger als Schmarotzer tituliert werden. Auch vom Keynesianismus verabschiedet sich die Regierung Kohl, da Versuche, die Konjunktur anzukurbeln, regelmäßig zum Scheitern verurteilt seien.

In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts kommt es zu einer Standortdebatte: „Deutschland ist nicht wettbewerbsfähig“. Vollbeschäftigung als wirtschaftliches Ziel wird aufgegeben. Arbeitslosigkeit macht die Arbeitssuchenden – und letztlich auch die Angestellten – gefügig, denn das eigene Hemd wird einem schnell wichtiger als die Hose des Nächsten. Wie auch in England verlieren die Gewerkschaften massiv an Mitgliedern und Einfluss. Immer mehr Firmen verabschieden sich zudem aus der Tarifbindung. Als das Beet ausreichend mit den Thesen der Neoliberalen gedüngt ist, geht die Saat schließlich unter (und durch) Bundeskanzler Schröder (SPD) auf und entsprechende Reformen, allen voran die Agenda 2010 werden durchgesetzt. Und wenn man sich das Partei- und Wahlprogramm der ultra-neoliberalen AfD ansieht, kann einem leicht klarwerden, dass der neoliberale Ansturm auf die Grundfesten unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens noch lange nicht verebbt ist …

1.3. Theoretische Grundlagen

1.3.1. Theorie und Ideologie in den Wirtschaftswissenschaften

Grau ist alle Theorie. Und trocken obendrein. Leider aber auch nötig. Wir sind aufgeklärte Menschen – glauben es zumindest, wir bemühen uns immerhin sehr, den Anschein zu erwecken, dass wir uns von der Vernunft leiten ließen. Unsere Meinungsbildung basiert nicht mehr auf Glaubensfragen oder Doktrinen, die uns ein Heilsbringer vorgesetzt hat, sondern auf Wissenschaft. Und Wissenschaft besteht zunächst aus einer Theorie, die überprüft wird und sich entweder als richtig oder falsch herausstellt. Aufbauend auf den verifizierten Theorien wird unser Wissen so stets erweitert.

Mit Wirtschaftswissenschaften ist das allerdings ein klein wenig anders. Theorien lassen sich dort nämlich nicht so ohne weiteres überprüfen. Man kann ja schlecht einen Teil von etwas so Komplexem wie einer Volkswirtschaft, wo tausende von großteils miteinander vernetzten Faktoren ständig interagieren, isolieren und unter Laborbedingungen testen. Deshalb behelfen Wirtschaftswissenschaften sich auch mit sogenannten Modellen, in denen einige ausgewählte Kriterien auf mathematischem Weg durchgespielt werden, und kommen dann zu Ergebnissen, die vielleicht vergleichbar sind beispielsweise mit medizinischen Forschungen an Amöben. Ein Wirkstoff, der einen primitiven Organismus immun gegen Angriffe eines Virus macht, muss aber, wie wir alle wissen, noch lange nicht bei einem wesentlich komplexer konstruierten Wesen wie dem Menschen funktionieren. Er kann im Extremfall sogar das Gegenteil bewirken. Deshalb tastet man sich in der Medizin von einfachen zu immer komplexeren Versuchskaninchen vor, bis man so viele positive Ergebnisse gesammelt hat, dass die Anwendung eines Präparats am Menschen als hinreichend sicher erscheint. Diese Vorgehensweise steht Wirtschaftswissenschaftlern aber nicht zur Verfügung. Daher haben die Theorien mangels Überprüfbarkeit einen Charakter entwickelt, der durchaus denen der alten Religionen gleicht. Sie sind zu Ideologien geworden, die allerdings mit mathematischen Mitteln zu Wissenschaften verbrämt worden sind.

Was ist nun der Kern einer Ideologie? Immerhin behauptet der Autor dieser Zeilen, dass Neoliberalismus eine Ideologie darstellt, im besten Fall, wohlgemerkt! Im schlechtesten wissen die Beteiligten, dass sie ein falsches Spiel zulasten der großen Bevölkerungsmehrheit spielen und geben nur vor, an deren Geschick interessiert zu sein. Aber denken wir positiv! Immerhin versichern führende Politiker uns ja, dass sie genau wissen, was gut für uns ist, nämlich Wirtschaftsförderung, weil ja sozial ist, was Arbeit schafft. Auch Wikipedia kennt Neoliberalismus übrigens als Paradigma, was der Bedeutung des Wortes Ideologie entspricht, welches ich an dieser Stelle bevorzuge.

Nachdem wirtschaftspolitisch dummerweise kein verifiziertes oder verifizierbares Wissen vorliegt, wie man das Gemeinwohl maximiert, zieht man sich, wie gesagt, auf Ideologien zurück, die im Wesentlichen aus zwei Hauptkomponenten bestehen: Die erste ist das Heilsversprechen. In der Wirtschaft ist das gerne die Maximierung des Gemeinwohls. So vielen Menschen wie möglich soll es gut gehen ohne Existenzängste in jeglicher Lebensphase, ohne finanzielle Sorgen et cetera. In anderen Ideologien wie Religionen ist das Heilsversprechen das ewige Leben oder die Wiedergeburt oder was auch sonst die Menschen sich in ihrer Angst vor Tod oder Einsamkeit wünschen. Um dieses Heilsversprechen einlösen zu können, ist Ideologien typischerweise eine zweite Basiskomponente zu eigen, nämlich das Regelwerk oder, drücken wir es anders aus: die Lehre. Der Zusammenhang ist ein höchst simpler: Befolgst du die Lehre, erfüllt sich dir das Heilsversprechen!

Nun, nachdem wir die Grundlagen gelegt haben, sehen wir uns doch einmal an, was der Neoliberalismus uns diesbezüglich zu bieten hat. Versuchen wir es zunächst mit dem Heilsversprechen: Welchen Nutzen bringt Neoliberalismus der Menschheit denn nun angeblich? Natürlich sieht man da zunächst nach, was die neoliberalen Akteure und Befürworter denn so von sich geben. Ich habe zum Beispiel bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung nachgesehen. Auf der Seite http://www.kas.de/wf/de/71.11514/ heißt es beispielsweise: „Manchen Begriffen wird bewusst Gewalt angetan. ‚Neoliberalismus‘ ist ein solcher Fall. Seit seiner Entstehung hat dieser Begriff unter dem Einfluss der politischen Linken in aller Welt einen derartigen Bedeutungswandel erlitten, dass er im öffentlichen Diskurs mittlerweile für das Gegenteil des ursprünglich Gemeinten steht. Stichworte der Verunglimpfung sind: Kapitalismus ohne Herz, Effizienz und wirtschaftlicher Profit statt sozialer Gerechtigkeit, Entmachtung der Politik und Primat des „ungezügelten“ Markts, Minimalstaat, kollektive Regellosigkeit, Ausbeutung. Mit den Absichten und Inhalten, die sich mit dem originären Neoliberalismus verbinden, hat all dies nichts gemein.“

Aha. Nun, diese Damen und Herren weichen aus. Sie nutzen die Tatsache, dass der Begriff Neoliberalismus bereits einmal in Verwendung war, für die Behauptung, dass man den Begriff verzerrt hätte. Man verweist im weiteren Verlauf des Artikels auf die Lehren von Milton Friedman und Friedrich von Hayek. Nur sind das neoklassische Theorien, keine neoliberalen. Wir haben zuvor schon gehört, von wem und warum der Begriff „neoliberal“ neu definiert worden ist. Der Putsch in Chile und die Einsetzung eines Systems, das mit der Neoklassik – wie ich in Kürze zeigen werde – nicht das Geringste zu tun hat, wird einfach … unterschlagen. Die neoliberalen Akteure beziehen sich also sowohl auf das Heilsversprechen als auch auf das Regelwerk, also auf die Ideologie der Neoklassik. Gut, lassen Sie uns woanders nachsehen, vielleicht bei rechtsgerichteten Publizisten wie dem Cicero! Da gibt es tatsächlich einen einschlägigen Artikel unter der Seite http://cicero.de/wirtschaft/ich-bin-stolz-ein-neoliberaler-zu-sein/37072. Wer der Autor ist, lässt sich dem Artikel nicht entnehmen, lediglich, dass er von einem FDP-Politiker stammt. Aber nachdem das Werk von einem überdimensionalen Portrait des FDP-Politikers Rainer Brüderle dominiert wird, wird der Artikel wohl auch von ihm stammen. Die Richtung würde jedenfalls passen. Auch hier dasselbe in Grün, pardon: in Gelb. Neoliberalismus wird gleichgesetzt mit Neoklassik. Lassen Sie uns einen letzten Versuch unternehmen: Suchen wir doch in den Inhalten von Universitäten nach dem Begriff Neoliberalismus! Ich lade Sie gerne ein, Google oder eine andere Suchmaschine zu benutzen und es besser zu machen. Ich konnte jedenfalls nicht fündig werden. Angezeigte Fundstellen sind entweder solche, die Neoliberalismus mit Neoklassik gleichsetzen (oder weitestgehend gleichsetzen) oder linksintellektuelle Professoren wie Professor Walter Ötsch oder Professor Rainer Mausfeld, die dem Neoliberalismus höchst kritisch gegenüberstehen.

Halten wir also fest: Dem Neoliberalismus der heutigen Zeit liegt keine Lehre zugrunde als die der Neoklassik und sie bietet auch kein eigenes Heilsversprechen an. Und Sie werden gleich erkennen, wie lohnend es sein kann, sich mit der Theorie näher auseinanderzusetzen, denn Neoklassik und praktizierter Neoliberalismus sind in der Tat völlig unterschiedliche Dinge, die zu einem großen Teil diametral entgegengesetzte Standpunkte vertreten. Somit kann jeder Argumentation eines Anhängers des Neoliberalismus nur allzu leicht entgegengetreten werden. Warum dies seitens der Lehre nur in so geringem Umfang geschieht, ist natürlich eine ganz andere Frage …

1.3.2. Die Basis: Der Liberalismus des Adam Smith

Doch dem Eintauchen in die Theorie der Neoklassik möchte ich zunächst eine kleine Einordnung in die Konzeptionen des Kapitalismus geben. Selbstverständlich kann dies wegen des schieren Umfangs und der Komplexität der Materie an dieser Stelle nur in einer Grobübersicht geschehen. Lassen Sie mich beginnen mit der Lehre des Vaters der ersten „kapitalistischen“ Konzeption, Adam Smith. Seine Kernthesen lauten:

  • Arbeit ist die Grundlage des Wohlstandes.

Natürlich braucht es auch natürliche Ressourcen. Ohne Wasser, fruchtbaren Boden und andere Produktionsfaktoren kann der Mensch bei noch so viel Arbeit nichts ausrichten. Umgekehrt kann er bei einem Füllhorn an Ressourcen zwar problemlos überleben, es aber ohne Arbeit niemals zu Wohlstand bringen. Man sollte dazu aus heutiger Sicht anmerken, dass Wohlstand bei Adam Smith zunächst einmal rein materieller Wohlstand bedeutet.

  • Die Produktivität erhöht sich mit immer arbeitsteiligerer Produktionsweise.

Dadurch, dass der Mensch ein sehr lernfähiges Tier ist, kann er schnell Fortschritte machen, wenn er sich in Verfahrensweisen übt und die immer und immer wiederholt. Er wird dadurch nicht nur schneller, sondern es sinkt auch die Ausschussrate, weil er weniger Fehler macht (ein Effekt, der sich allerdings bei allzu viel Routine auch gern wieder ins Gegenteil verkehrt). Wenn ein untrainierter Korbflechter vielleicht noch drei Stunden an einem Korb sitzt, schafft ein Routinier das in unter einer, die Produktivität dieser Person steigt in diesem Fall um mehr als das Dreifache an. Diese Erkenntnis wird heute übrigens noch in der Betriebswirtschaft gelehrt (Stichwort Erfahrungskurve).

  • Die Grundlage allen wirtschaftlichen Geschehens sind Tauschvorgänge.

Bei Tausch steht der Preis im Mittelpunkt, selbst in Gesellschaften, in denen es kein Geld gibt, sondern nur Güter gegen andere Güter getauscht werden. Somit müssen sich auch die Produktionsverfahren am Preis orientieren. Einkommen generiert sich bei Arbeitnehmern ebenfalls aus einem Tauschgeschäft: Sie tauschen ihre Arbeitsleistung gegen Geld oder Güter. Somit regelt sich auch die Einkommensverteilung über den Preis.

  • Es gibt einen Marktpreis und einen „natürlichen Preis“.

Ersterer ergibt sich aus Angebot und Nachfrage. Es leuchtet unmittelbar ein, dass ein Bäcker, der ganz besonders leckere Brötchen zu backen weiß, dafür einen höheren Preis nehmen kann als der Bäcker um die Ecke, dessen Produkte nach Pappe schmecken. Für ihn ist unter dem Gesichtspunkt der Gewinnmaximierung vereinfacht gesagt wichtig, seine (aufgrund seiner Produktionskapazitäten) gegebene Produktionsmenge zum höchstmöglichen Preis vollständig an den Mann zu bringen, also wird er – grob vereinfacht gesagt – den Preis so setzen, dass er nicht auf Ware sitzenbleibt, die ihm nach Geschäftsschluss keinen Ertrag mehr bringt. Denselben Preis zu nehmen wie der Kollege um die Ecke, würde unter dem Aspekt der Gewinnmaximierung keinen Sinn machen, denn das würde bedeuten, dass er sein Sortiment ausverkauft hätte, bevor der andere auch nur ein einziges Brötchen loswürde. Er würde mit dem niedrigeren Preis aber auf eine Ertragschance verzichten, denn er könnte dieselbe Produktionsmenge auch zu einem höheren Preis absetzen.

Der „natürliche Preis“ ergibt sich dagegen aus den Durchschnittsherstellungskosten plus Profit. Wenn der Marktpreis dauerhaft unter den Herstellungskosten läge, wäre unser Bäcker bald pleite. Adam Smiths These besagt nun, dass der Marktwert um den natürlichen Preis herum schwankt, sich aber nie weit davon entfernen kann. Das leuchtet ein. Wenn unser guter Bäcker aufgrund seines Erfolges Mondpreise für seine Brötchen nehmen würde, würde das sehr bald Nachahmer auf den Plan rufen, die sich sagen: „So gut wie der kann ich das auch anbieten, aber viel billiger, und reich werde ich trotzdem noch dabei.“ Damit würde unser guter Bäcker durch die Konkurrenz so unter Druck gesetzt werden, dass er seine Preise bald deutlich senken müsste – oder gar nichts mehr verkaufen könnte. Allzu weit senken geht allerdings auch nicht, denn wenn die Preise unter die Herstellungskosten fallen, macht er Verluste und geht infolgedessen wohl auch bald pleite. Doch Adam Smith konnte damals noch wenig von den Praktiken heutiger Konzerne wissen, die ihre Produkte bewusst zu Dumping-Preisen unter Herstellungskosten vermarkten, um sich einen möglichst hohen Marktanteil zu sichern und so die Konkurrenten erst mal auf Abstand zu halten beziehungsweise gleich ganz auszuschalten.

  • Dieser Preismechanismus kann seine Wirkung nur in einem freien Markt entfalten, in dem Menschen eigennützig handeln (können).

Im Fall unseres Bäckers bedeutet das, dass der oben genannte Mechanismus nur dann zum Tragen kommt, wenn jederzeit Andere ebenfalls das Bäckerhandwerk ergreifen könnten und unserem Bäcker Konkurrenz machen könnten. Ohne den freien Markt würde niemand (außer vielleicht einem Herrscher, der die Preise für die Güter festlegt) unseren Bäcker daran hindern, Mondpreise für seine Brötchen zu verlangen. Freier Markt im Sinne Adam Smiths bedeutet aber nicht, dass alle Wirtschaftssubjekte tun und lassen können, was sie gern tun und lassen wollen. Die von Smith geforderte Freiheit des Marktes besteht nicht darin, dass der Staat der Wirtschaft keine Regeln auferlegen darf! Zum großen Teil besteht sie vielmehr darin, dass der Staat den Markt nicht verzerren möge. Dies würde beispielsweise geschehen, wenn der Staat eine bestimmte Gruppe von Wirtschaftssubjekten bevorzugt. Tut er das, wird aus einem gerechten Verteilungssystem ein ungerechtes.

Diese Aussage ist schon deshalb bemerkenswert, weil Adam Smith höchstpersönlich hier die Basis für die Kritik am Neoliberalismus legt. Man möge sich nur allein in Deutschland die auch personelle Nähe der Regierung zur Automobilindustrie ansehen oder wie den Banken und Versicherungen beispielsweise über die Autobahnmaut neue, milliardenschwere Profite zugeschanzt werden, um zu erkennen, wie sehr die Großen beispielsweise gegenüber dem Mittelstand oder auch den Arbeitnehmern bevorzugt gefördert werden. Die Berechtigung des Staates, ordnungspolitisch einzugreifen, insbesondere in Fällen, in denen der Markt versagt, ist wie gesagt nach Smith kein Widerspruch zu einem freien Markt. Ein solcher läge nur vor, wenn durch eine einseitige Bevorzugung der Wettbewerb verzerrt werden würde. Die Forderung von Politikern beispielsweise der FDP, dass der Staat sich aus Belangen der Wirtschaft weitestgehend herauszuhalten habe, entspricht somit nicht den liberalen Grundlagen, die Adam Smith gelegt hat und auf die dieselbe FDP sich so gerne beruft.

1.3.3. Das 20. Jahrhundert: Keynesianismus und Neoklassik

Lassen Sie mich die Konzeptionen des 19. Jahrhundert überspringen, obgleich es extrem interessant und aufschlussreich wäre, sich mit den Lehren von John Stuart Mill, Karl Marx oder mit den Ideen des Manchester-Liberalismus zu beschäftigen, und gleich zu den beiden dominierenden Lehren des 20. Jahrhunderts übergehen: Dem Keynesianismus und der Neoklassik. Und auch innerhalb dieser beiden Theorien möchte ich sehr selektiv vorgehen und mich auf die Aspekte konzentrieren, die Neoliberalismus ausmachen beziehungsweise in denen Neoliberalismus heutiger Prägung sich von Neoklassik unterscheidet.

Keynesianismus war zumindest in Deutschland die herrschende Doktrin bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass die meisten Wirtschaftsfaktoren, also Produktion und Beschäftigung, von der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage abhängen. Wer also eine ausgelastete Produktionswirtschaft und Vollbeschäftigung wolle, müsse an der Schraube der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage drehen. Dabei wäre es vollkommen egal, ob ein Privatmann, eine Firma oder der Staat dafür sorgt. Für einen Automobilhersteller wie BMW und die Angestellten dieser Firma spielt es letztlich gar keine Rolle, woher nun genau ein Auftrag kommt, sofern er nur kommt. Demgemäß könnte und sollte der Staat regulierend in die Wirtschaft eingreifen, um in Zeiten schwacher Konjunktur (Depression) die Nachfrage beispielsweise durch Infrastrukturinvestitionen anzuheizen und die Depression deutlich abzumildern. Im Gegenzug müsste er in Boom-Zeiten seine Nachfrage zurücknehmen und stattdessen Rücklagen bilden, um auf diese in Depressionszeiten zurückgreifen zu können (antizyklische Fiskalpolitik). Dem Staat wird mithin eine entscheidende Rolle zugesprochen, nicht nur, wie bei Ordo-Liberalen, als Hüter eines funktionierenden Wettbewerbs, sondern ganz massiv in wirtschaftspolitischen Belangen. Eines der wichtigsten Ziele dabei ist eine weitgehende Vollbeschäftigung.

Offiziell kommt es im Jahr 1973 zu einem Paradigmenwechsel und einer Abwendung von Keynes zu einer Hinwendung zur Neo­klassik. Auslöser ist angeblich die im Zuge des Jom-Kippur-Krieges erfolgte Ölkrise, als die Organisation der arabischen, Erdöl exportierenden Staaten (OPEC) die Förderung drosselt, um den Westen wegen seiner Unterstützung Israels politisch unter Druck zu setzen. Diese Ölkrise löst in den westlichen Industrieländern eine sogenannte Stagflation aus, also eine wirtschaftliche Stagnation bei gleichzeitig hoher Inflation … pures Gift für die Wirtschaft, die zu dieser Zeit seit zwanzig Jahren im Wesentlichen nur eine einzige Richtung kennt: die steil nach oben. Diese Stagflation wiederum veranlasst das wirtschaftspolitische Umdenken … Ich schrieb oben „angeblich“, denn ich hege meine Zweifel. Die gegen die soziale Marktwirtschaft gerichteten Messer waren – wie im Kapitel 1.2. dargestellt – zu dieser Zeit längst gewetzt. Als der Ölpreis in die Höhe ging, war der Putsch in Chile kaum einen Monat zuvor in Gang gesetzt worden, die Lokomotive des Neoliberalismus hatte längst begonnen, Fahrt aufzunehmen. Schwer vorstellbar, dass es nicht auch Pläne zur Etablierung dieses Systems bei uns gab, für die lediglich noch ein geeigneter Auslöser gebraucht wurde. Die Ölkrise bot sich in dieser Situation dazu geradezu auf ideale Weise an, denn die keynesianische Theorie war auf einen solchen Fall nicht expressis verbis vorbereitet. Dass die Neoklassik oder gar der Neoliberalismus neuer Prägung dieses Problem ohne Dellen für die Wirtschaft lösen hätte können, zumal das Problem ja in erster Linie gar nicht von dem hohen Ölpreis (der später in noch ganz andere Regionen schießen sollte, ohne größeren Schaden für die Wirtschaft), sondern von der gleichzeitigen Hochzinspolitik der Bundesbank befeuert wurde … nun, wir werden nie einen Nachweis dafür erhalten, aber es darf getrost bezweifelt werden.

Wenden wir uns also der Theorie zu, die zunächst vermeintlich das Rennen macht: die neoklassische Theorie. Dreh- und Angelpunkt ist bei ihr anders als bei Keynes nicht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, sondern das Tauschgeschäft zwischen rationalen Individuen, die optimalerweise über vollkommene Marktinformation verfügen und die sich innerhalb eines vollkommenen, also offenen, rein wettbewerbsorientierten Marktes bewegen. Dieser regelt alles mit der „unsichtbaren Hand“ (Theorie des Pareto-Optimums), die bei Adam Smith lediglich als bildlicher Vergleich in einem Nebensatz vorkommt. Wenn aber alle Aspekte des Lebens perfekt durch den Markt geregelt würden, sei jede regulative Einmischung des Staates schädlich, da sie nichts weiter bewirken könne, als das Gleichgewicht zu zerstören. Vollbeschäftigung ergäbe sich automatisch, wenn der Markt nur vollkommen genug wäre, wenn also keine Mindestlöhne und andere Regularien den Markt „verzerren“ würden. Eine der wenigen legitimen Betätigungen des Staates (beziehungsweise der Zentralbank) sei laut Milton Friedman eine Geldpolitik, die zu starke Inflation (Anzeichen für zu hohe Geldmenge im Umlauf) oder Deflation (Anzeichen für zu geringe Geldmenge) verhindern solle. Der größte Wohlstand für alle könne also nur erzielt werden, wenn man den Markt einfach sich selbst überließe (Begriff des „Laissez faire“). Wenn es in einem Sektor zu einem Versagen des Marktes käme, dann deshalb, weil der Markt nicht vollkommen beziehungsweise reguliert wäre. Das zu ändern, wäre der einzig richtige Ansatz, derartige Probleme in den Griff zu bekommen.

Neben staatlichen Eingriffen werden auch andere „Störungen“ des Marktes kritisiert, namentlich Monopole (ein Anbieter beherrscht den Markt; Das Störpotenzial gilt entsprechend auch für Monopsone, wenn also mehreren Anbietern nur ein einziger Nachfrager gegenübersteht) oder Oligopole (wenige Anbieter beherrschen den Markt beziehungsweise teilen ihn unter sich auf). Ein Monopolist kann den Preis diktieren, weil er sich eben keinem Wettbewerb mehr stellen muss. Neben möglichen Produktionsineffizienzen muss der auf das Angebot angewiesene Verbraucher einen höheren Preis bezahlen als unter Wettbewerbsbedingungen, was das Pareto-Optimum stört, somit auch die „unsichtbare Hand“ des Marktes und somit den allgemeinen Wohlstand.

Die Theorie der Neoklassik ist durchaus kritikwürdig. Einer der häufig geäußerten Kritikpunkte lautet, dass das neoklassische Modell ein statisches sei, die reale Wirtschaft hingegen dynamisch. Auch die Annahmen, die dem Modell zugrunde liegen (vollkommene Markttransparenz, Tauschvorgänge unter „gleich-mächtigen“ Vertragspartnern sowie vollkommene Märkte dürfen durchaus dem Reich der Utopie zugerechnet werden, ebenso wie die Mär vom „mündigen Verbraucher“, dem „Homo oeconomicus“.

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