Warum ich mir wünsche, dass die Griechen sich durchsetzen …
Gepostet am: Jun 21, 2015 1:25:19 PM
… und warum das nicht geschehen wird.
Wir befinden uns im Jahre 2015 n.Chr. Die ganze Welt ist von den Finanzmärkten besetzt... Die ganze Welt? Nein! Ein von unbeugsamen Griechen bevölkertes Land hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Troika, die als Besatzung in den befestigten Lagern EU-Kommision, IWF und Europäische Zentralbank liegen ...
In diesen Tagen – so scheint es allen Pressemitteilungen zufolge – entscheidet sich das Schicksal Griechenlands und der Europäischen Union. Wird Griechenland pleite gehen? Wird die EU auseinanderfallen, wird der europäische Gedanke scheitern. Könnte das der Anfang vom Ende sein?
Man kann all diese Fragen mit zugleich „ja“ und „nein“ beantworten. Es gibt immer einen Neuanfang. Wohin der führen mag, kann vielleicht ein Hellseher erkennen, ich kann es nicht. Doch so groß diese Fragen auch scheinen, sie sind es nicht. Denn die Schlacht um Griechenland ist nur ein vergleichsweise kleiner Schauplatz in einem weitaus größeren Krieg. Lasst uns doch mal herauszoomen aus Griechenland, auf eine Erdumlaufbahn, aus der heraus wir die ganze Welt überblicken können. Was sehen wir da? Einen friedlichen blauen Planeten?
Mitnichten. Wir sehen in so vielen Regionen wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr Terror, Hunger, Not, Verzweiflung. Die Flüchtlingsströme, die uns erreichen, sind nur ein kleiner Ausfluss dieser Ereignisse. Auch Griechenland ist nur ein kleiner Teil davon, dem zumindest bewaffnete Konflikte im Moment noch erspart bleiben. Wem nützen eigentlich all diese Konflikte? Den Menschen, in deren Ländern sie passieren?
In einem Roman, der gerade im Entstehen ist, sagt einer meiner Protagonisten: „… Eine alte Ermittlerregel besagt: Falls im Zweifel, folge immer dem Geld! Geld lügt nicht.“ Wohlan: Folgen wir dem Geld! Von wo nach wohin fließt es denn? Jean Ziegler, Soziologe und bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, sagte vor wenigen Tagen auf der Abschlusskundgebung der Demonstration gegen den G7-Gipfel, dass die reichsten 80 Personen der Welt ebenso viel Vermögen besitzen, wie die Hälfte der gesamten Weltbevölkerung (3,5 Milliarden Menschen). Eine andere Zahl, die durch alle möglichen Statistiken geistert: Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt 99 % des Weltvermögens. Diese Schere hat sich in den letzten Jahrzehnten auf dramatische Weise geöffnet, sowohl in Deutschland, als auch weltweit. Und sie öffnet sich weiter. Ein Indiz nur, aber ein mächtiges! Aber wie schaffen sie das, diese 80 reichsten Personen, die alles kontrollieren: Banken, Versicherungen, Medien, Rüstungskonzerne, Börsen, Politiker, etc. etc.?
Zum einen auf triviale Weise: Sie liefern, was anderswo dringend gebraucht wird. Waffen beispielsweise. Ihr viel mächtigeres Instrument allerdings sind die Finanzmärkte. Unsere weitgehend unregulierten Finanzmärkte gestatten ihnen zum Beispiel Spekulationen mit Grundnahrungsmitteln – um nur einen kleinen Teil ihrer Geschäfte anzusprechen. Wir erleben täglich, dass dadurch die Nahrungsmittelpreise für die Weltbevölkerung exorbitant ansteigen (z.B. für Reis). Während einige wenige sich an diesen Spekulationen dumm und dämlich verdienen, lautet die Konsequenz für ganz viele: Essen wird unerschwinglich. Seit 2013 stirbt laut UNICEF alle fünf Sekunden ein Kind, das mit einfachsten Maßnahmen gerettet werden könnte. Das Geld fließt aus den Taschen der Armen in die der Superreichen. Es herrscht ein Krieg zwischen Arm und Reich und die Reichen sind dabei, ihn zu gewinnen. Das stammt nicht von mir, auch nicht von einem Kommunisten oder von Sahra Wagenknecht. Der Milliardär Warren Buffet hat dies gegenüber der New York Times im Jahr 2006 geäußert („There’s class warfare, all right, but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning.“).
Wer glaubt, dass die Klasse der Superreichen damit zufrieden wären, möge sich die Verhandlungen zu TTIP, CETA und TISA, aber auch die bereits bestehenden Freihandelsabkommen wie EPA genauer ansehen, bei denen es nur vordergründig um Freihandel, eigentlich aber um Investitionsschutz und damit um eine beschleunigte Kapitalakkumulation geht. Die Reichen fordern ein zügigeres Tempo bei ihren Beutezügen und unsere Regierung sowie die EU-Kommission unterstützen sie tatkräftig dabei. Warum, um alles in der Welt, sollten unsere Regierungen so etwas Infames tun? Weil die Finanzmärkte mächtig sind! Weil sie Kapitalströme beeinflusst! Weil Deutschland am Tropf dieser Kapitalströme hängt und Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum vom Wohlgefallen der Finanzmarkt-Akteure abhängen. Wer sich gegen die Finanzmärkte stellt, scheint verloren.
Zoomen wir doch zurück auf Griechenland! Was ist dort geschehen?
Die Griechen haben wohl über ihre Verhältnisse gelebt, auf Kosten aller Gläubiger, zu denen – über Bürgschaften – auch das deutsche Volk zählt. Ist doch so, oder? Oder?
Falls im Zweifel, folge immer dem Geld!
Griechenland hat gewaltige Schulden aufgebaut, viel zu viel Geld von diversen Gläubigern bekommen. Sage nicht ich, sagt der griechische Ministerpräsident Alexis Tzipras. Wo das Geld nun hin ist, ist die Frage. Womöglich ist ein Teil tatsächlich ins Volk geflossen, in Renten und in Taschen von Staatsbediensteten, die das Geld zwar verdient, aber nicht wirklich verdient haben. Jetzt ist es jedenfalls weg. Was ja nebenbei gesagt nicht sein kann. Geld ist niemals weg. Es fließt nur von einem Besitzer zum anderen. Auch bei der Finanzkrise 2008, in der Banken gerettet worden sind, war das Geld ja nicht weg (von einigen künstlichen Blasen abgesehen, in denen der Finanzmarkt illegalerweise künstliches Geld geschaffen hatte – illegalerweise deshalb, weil niemand außer Staaten respektive Zentralbanken Geld in Umlauf bringen darf. Nur auf Finanzmärkten bleiben kriminelle Handlungen meist ungeahndet). Es ist nur nicht mehr in der Verfügungsgewalt der Banken gewesen, wodurch sie zahlungsunfähig geworden wären, hätten die Staaten nicht eingegriffen. Die Frage ist also: Wenn die Banken das Geld verloren haben, wer zum Kuckuck hat es dann gewonnen? Verbrannt ist es ja definitiv nicht! Wer waren die Profiteure dieser Krise? Aber weder unsere Regierung, noch die EU-Kommission hat seit Beginn der Finanzkrise diese doch alles entscheidende Frage beantwortet, ja diese noch nicht einmal gestellt: Wohin, bitteschön, ist all das Geld geflossen? Wollen wir nochmal in die Statistik schauen? Ne, das sparen wir uns jetzt, die kennen wir schon. Die griechische Bevölkerung, darunter die Mehrheit aller Rentner, jedenfalls lebt zu einem großen Teil unter der Armutsgrenze. Von den letzten Milliardenkrediten floss nicht ein einziger Cent an das griechische Volk, es ging alles zur Tilgung griechischer Schulden an Banken oder an den IWF.
Was Griechenland ursprünglich wollte, ist eine Umschuldung. Eine Unverschämtheit? Fragen Sie doch mal Finanzminister Schäuble, wie er das macht, wenn eine Staatsanleihe fällig wird. Tilgt er die dann? Nein, tut er nicht! Er gibt einfach eine neue Staatsanleihe aus und bezahlt mit den Erlösen der neuen die Rückzahlung der alten. Den Griechen wird eine derartige Umschuldung aber verwehrt, sie müssen ihre Staatsschulden netto tilgen. Obwohl jeder weiß, dass sie das im Augenblick gar nicht können. Griechenland wird unter massivsten Druck gesetzt. Es soll gespart werden, aber nicht da, wo die gewählte Regierung es möchte (z.B. bei Militärausgaben, durch eine Besteuerung der Reichen), sondern da, wo es wieder nur die Armen trifft: bei der Mehrwertsteuer und bei den Renten. Man will den Griechen bzw. deren linker Regierung keine Zeit geben, das Unheil, welches die Vorgänger-Regierungen angerichtet haben, zu reparieren. Ein vollständiges Grundbuch einzurichten und alle Immobilien zu erfassen, dauert Jahre. Das Steuerrecht gerecht und nachhaltig zu reformieren, dauert normalerweise Jahre – wie jeder deutsche Finanzminister sicherlich bestätigen könnte. Die Griechen wollen es viel schneller schaffen, aber nicht einmal diese Zeit will man ihnen lassen, indem man den Finanzminister mit Rückzahlungsforderungen unter Druck setzt und ihm keine Zeit lässt, seine eigentliche Arbeit zu machen. Dann die Schulung der Finanzbeamten, die gleichzeitige Bekämpfung seit Jahrzehnten eingeschliffener Korruptions-Seilschaften, all das ist nicht innerhalb weniger Wochen zu schaffen. Die Griechen brauchen nur drei Dinge:
Zeit
Einen Schuldenschnitt (der nur sinnvoll ist, nachdem ein großer Teil des Geldes ohnehin nicht mehr beigetrieben werden kann)
Erfahrungsaustausch, praktische Unterstützung bei der Realisierung ihrer Projekte.
Das alles will man ihnen nicht gewähren, obwohl der Preis dafür nicht hoch wäre, weit, weit billiger jedenfalls als ein Grexit. Es wäre die naheliegendste Lösung, Griechenland nach Kräften zu unterstützen. Aber das ist politisch nicht gewollt.
Weil dann eine linke Regierung einen Sieg feiern würde gegen Neoliberalismus und Austeritätspolitik?
Weil dann von Griechenland ausgehend eine Lawine ähnlicher Forderungen erst Süd- und schließlich auch Mittel- und Nordeuropa überrollen würde?
Weil dann ein EU-Vertrag, der ohnehin nie funktioniert hat, hinfällig, weil an der Realität gescheitert wäre?
Nein. Zumindest nicht nur.
Griechenland hat sich Zorn wegen etwas viel „Schlimmerem“ zugezogen: Syriza ist angetreten, sich offen gegen die Dominanz der Finanzmärkte über die Politik zu wehren. Die Griechen stehen auf gegen ein System, in dem der Mensch nur noch dem Mammon (und nicht einmal dem eigenen!) zu dienen hat. Sie treten ein für ein System, in dem Märkte dem Menschen zu dienen haben und nicht umgekehrt. Selbst der Papst hat die Zusammenhänge inzwischen erkannt, aber solange er nur predigt und nicht das gewaltige Finanz- und Firmenimperium der katholischen Kirche dazu nutzt, um gegenzusteuern, bleiben seine Worte leider bloße Lippenbekenntnisse. Natürlich begehen die Griechen mit ihrer Haltung einen ungeheuerlichen Affront, den die Finanzmärkte niemals dulden können, denn wenn sie das täten, wäre dies möglicherweise der Anfang ihres Endes.
Dies also sind die Fronten: Das kleine Griechenland gegen die übermächtigen Finanzmärkte!
Ich fürchte, dass die jetzige griechische Regierung leider mehr abgebissen hat, als sie kauen kann. Denn Griechenland besitzt keinen Zaubertrank, der sie so unbesiegbar macht, wie unsere beliebten Gallier. Und die Liste ihrer Verbündeten ist nicht direkt lang. Rebellen sind eben nicht immer so beliebt, wie unsere gallischen Comichelden, zumal wenn die Medien (wer kontrolliert die nochmal?) eine höchst einseitige Berichterstattung von den flegelhaften Griechen transportieren, die uns alle verarschen wollen.
Als Hans Well (Mitglied der damals noch existierenden Biermösl Blosn) mir einen von ihm bajuwarisierten Asterix-Band (Auf geht's zu de Gotn!) signierte, schrieb er:
So ist es, beim Teutates! Selbst, wenn der Weg statt nach Gergovia nach Alesia geht. Wenn wir Gallier nur nicht so wenige wären …