Erdoğan = Hitler?

Um das, was im Augenblick in der Türkei abgeht, nicht unwillkürlich mit der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland in Verbindung zu bringen, muss man, meine ich, schon arg geschichtsvergessen sein. Die Weimarer Republik wurde auf ähnliche Weise in eine Diktatur verwandelt, wie die türkische jetzt im Augenblick. Der Militärputsch vor wenigen Tagen lässt zumindest in mir lebhafte Bilder des brennenden Reichstagsgebäudes aufsteigen.Dennoch: Hitler-Vergleiche verbieten sich immer. Denn das, was Hitler getan hat, kann man mit nichts vergleichen, was vorher oder nachher in der Welt geschehen ist. Sicher, es gab auch vorher schon Völkermord, sogar in vergleichbarem Ausmaß und vergleichbarer Grausamkeit, wenn man beispielsweise an die beinahe vollständige Auslöschung der uramerikanischen Völker mit vielen Millionen Todesopfern denkt. Aber dahinter stand kein einzelner Mann, auf den sich all das zurückführen hätte lassen, kein Plan einer Regierung, diese Gräueltaten zu begehen; es wurde vermutlich einfach nur in Kauf genommen. Zumindest unternahm die Regierung der Vereinigten Staaten nichts Wirksames, diese Tragödie aufzuhalten, was bereits Vorwurf genug ist. Nein, vergleichen dürfen wir Erdoğan mit Hitler nicht. Noch nicht zumindest.

Aber lernen aus der Geschichte, Vorzeichen lesen, Entwicklungen (wieder)erkennen und rechtzeitig dagegen einzuschreiten, das muss erlaubt sein und bleiben. Und dazu gehört zweifelsohne, ein ganz besonderes Augenmerk auf die Entwicklung in der Türkei zu richten. Wie Hitler demontiert Erdoğan die Demokratie und die Menschenrechte in der Türkei. Dass er sich Hitler dabei als direktes Vorbild genommen hat, sollte die Alarmglocken insbesondere bei deutschen Politikern noch deutlich schriller klingeln lassen. Wie Hitler in "Mein Kampf" hat Erdoğan in verschiedenen Reden angedeutet, ein neues groß-osmanisches Reich errichten zu wollen (vgl. http://www.ulrich-seibert.de/blog/malwiedererdogan). Wie bei Hitler nutzt er zur Rechtfertigung dieses Plans eine Ideologie, in seinem Fall eine Religion.

Wie bei Hitler wird dies zweifelsohne zu weiteren gewaltigen Konflikten im gesamten Nahen Osten führen, wenn die Welt ihm nicht freiwillig gibt, was er will: Schon hat er Ansprüche auf Kurdengebiete im Irak angemeldet (vgl. z.B. http://www.sueddeutsche.de/politik/tuerkei-die-tuerkische-urangst-1.2587289) und Erdoğan ist gewohnt, zu bekommen, was er will.

Es gibt weitere Ähnlichkeiten in den Umständen. Wie bei Hitler ist die Unterstützung für Erdoğan bei den Türken ungeheuer groß. Wie bei Hitler scheuen sich ausländische Politiker, ihm offen und eindeutig entgegenzutreten, was an eine damals gescheiterte Appeasement-Politik erinnert. Dabei wäre Hitler ganz einfach zu stoppen gewesen. Wenn man sich ihm beim Anschluss Österreichs (der ihm mit der Plünderung der österreichischen Zentralbank wertvolle Devisen gebracht hatte, mit denen der Beginn des Zweiten Weltkriegs finanziert werden konnte) von Seiten der Alliierten entschlossen in den Weg gestellt hätte, wäre Hitler ausgebremst worden, zumal die Wehrmacht bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gerade einmal über Munitionsreserven von 14 Tagen (!) verfügt hatte (Quelle: z.B. http://mediathek.daserste.de/Reportage-Dokumentation/Geschichte-im-Ersten-Hitlers-Geldw%C3%A4sche/Video?bcastId=799280&documentId=36493700). Der Überfall auf Polen, die Niederlande und die Benelux-Staaten hat zusammen mit einer hervorragenden Zusammenarbeit mit den Weltmeistern im G'schäftlemache, den Schweizer Banken, die das Raubgold der Nazis weiß gewaschen und in Devisen für Nazi-Deutschland verwandelt haben, dafür gesorgt, dass der zweite Weltkrieg überhaupt erst finanzierbar wurde. Wir alle wissen, welche Tragödien sich daraus für Europa ergeben haben. Die genannten G'schäftlemacher blieben wie üblich übrigens von dem von ihnen mitverursachten Leid vollkommen verschont. Sie hatten von Hitler nicht das Geringste zu befürchten. Wer raubt schon seinen eigenen Tresor aus?

Ich erwähne diese Details nur, um den Nachweis zu führen, dass Hitlers Aggressionen ohne die aktive Mithilfe beziehungsweise Unterlassungen aus dem Ausland vielleicht nicht ganz unmöglich gewesen wären, gleichwohl niemals das letztendliche Ausmaß hätten annehmen können. Diese Lektion darf man speziell in Deutschland niemals vergessen! Sicher, der Kampf um ihre Verfassung, der Kampf um Demokratie und Menschenrechte in der Türkei ist zunächst einmal alleine Sache der in der Türkei lebenden Menschen, gleich welcher ethnischen Zugehörigkeit. Aber nur, solange Erdoğan seine Finger nicht ins Ausland ausstreckt. Und das tut er durchaus bereits, nämlich zum Beispiel, wenn er Kurdensiedlungen in Syrien bombardieren lässt. Niemand hindert ihn daran, schwere Kriegsverbrechen zu begehen, am wenigsten die USA, die die Türkei als Verbündeten benötigen, da sie dort einen strategisch enorm wichtigen Militärstützpunkt unterhalten. Von deutscher Seite werden keine Soldaten aus der Türkei abgezogen, keine Diplomaten, keine Gelder werden eingefroren und keine gemeinsamen Projekte. Im Gegenteil. Die Türkei besitzt noch immer den Status eines "sicheren Herkunftslandes". Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoguz widerspricht sich gar selbst, wenn sie alle Türen "für Gespräche" offen halten will, gleichzeitig aber konstatiert, dass Erdoğan längst aufgehört hat, deutsche Politiker ernst zu nehmen (Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/tuerkei-im-ausnahmezustand-wir-muessen-einen-kuehlen-kopf.694.de.html?dram:article_id=360823) und lehnt Sanktionen strikt ab. Im Herumeiern war sie ja schon immer einsame Spitze, unsere liebe SPD.

Aber diese Gleichgültigkeit ist kein Einzelfall. Man sehe sich die USA an. Wie wild hatte G.W. Bush sich gebärdet anlässlich der Anschläge vom 11.9.2001. Rache wollte er nehmen an den Verantwortlichen der Anschläge. Im anschließenden Untersuchungsbericht und nachdem Rache an einer ganz anderen Nation, die damit gar nichts zu tun gehabt hatte, nämlich dem Irak, genommen worden war, waren 28 Seiten geschwärzt. Ausgerechnet die Seiten, in denen es um die finanziellen Hintergründe dieser abscheulichen Terrorakte ging. Auch Präsident Obama wollte diese Seiten nicht freigeben. Schließlich hat der Chef des Untersuchungsauschusses selbst den brisanten Inhalt enthüllt: Die Hintermänner sitzen allesamt seit Jahren völlig unbehelligt in Saudiarabien, viele davon in hohen offiziellen Stellungen (http://www1.wdr.de/daserste/monitor/videos/video-die-hintermaenner-von--das-geheimnis-der--pages-100.html). Teilweise waren gar staatliche Organisationen eingebunden. Gab es aufgrund dieser Erkenntnisse irgendwelche Konsequenzen seitens der USA? Oder ihrer Verbündeten? Keine einzige! Es gab kein Embargo, es wurde nicht einmal ein Botschafter einbestellt, obwohl die Saudis es noch nicht einmal für nötig hielten, diese Enthüllung zu dementieren. Die Amerikaner wissen, dass Saudiarabien ein entsetzliches Verbrechen begangen haben, dem Tausende auf grausamste Weise zum Opfer gefallen sind und tun ... nichts! Gar nichts! Verbrechen werden also - egal wie schwer sie wiegen - nicht mehr geahndet, solange das Geschäft schwerer wiegt? Leben wir mittlerweile in einer Gesellschaft, die so tickt? Ganz egal, was passiert, wer und wie viele Menschen leiden müssen, Hauptsache ist, dass der Rubel rollt? Sind wir wirklich schon wieder so abgestumpft? Dann haben wir es wahrscheinlich sogar verdient, wenn Konflikte jetzt beginnen, sich direkt vor unsere Haustüre zu verlagern ...