Christlich – unchristlich – links – rechts

In diesen Tagen ist viel die Rede davon, was „christlich“ ist und was nicht. Andreas Scheuer, der Generalsekretär der CSU – ich erlaube mir kurz, die Bedeutung dieser Abkürzung ins Gedächtnis zurückzurufen: „Christlich Soziale Union“ – spricht einen ungeheuerlichen Satz vor dem Presse-Club Regensburg: „Das Schlimmste ist ein Fußball spielender, ministrierender Sengalese (sic! Er meinte wohl einen Senegalesen. Ist doch egal, wie das Herkunftsland heißt, schwarz sind sie alle, oder?), der über drei Jahre da ist, weil den wirst du nie wieder abschieben.“ Diesen Satz muss man sich schon näher ansehen, um seine Tragweite zu begreifen. „Das Schlimmste ist …“. Ein integrierter Flüchtling / Asylant ist also das Schlimmste, was Herr Scheuer sich vorstellen kann. 

Warum ist das so? Wie kann jemand diesen Zustand, in dem die Integration ja perfekt gelungen wäre, der doch eigentlich in den Augen der Gesellschaft der optimale sein sollte, überhaupt als „schlimm“ empfinden? Doch nur dann, wenn man diesen Mann – oder, wenn man ihn wie von Herrn Scheuer vermutlich beabsichtigt, als pars pro toto ansieht – diese Ethnie hier als Fremdkörper, als generell fehl am Platz ansieht. Abschieben, wegdrücken, ausgrenzen sollte man diese Leute allesamt können, dann würde der Ist-Zustand von der CSU wohl als weniger schlimm empfunden werden. Und ja, ich schreibe absichtlich „die CSU“, denn aus deren Vorstand kam keinerlei Protest gegen Herrn Scheuers Äußerung. Im Gegenteil: Herr Seehofer meinte, dass eine Rüge seines Erachtens nicht angebracht wäre, denn Herr Scheuer hätte ja weder die Kirchen, noch die Sportvereine angegriffen … Menschenverachtung kann nicht mehr viel weiter gesteigert werden.

Fußball spielen, die Lieblingssportart von uns Deutschen zu kapern, was fällt dem ein! Oder Christ sein! Was für ein erbärmlicher Opportunist! Dabei entscheidet immer noch die CSU, wer Christ ist und wer nicht. Sie denken, diese Aussage wäre unangebrachter Zynismus? Ich wünschte wirklich, es wäre so. Was dem oben zitierten Satz Scheuers folgte, war nämlich ein geharnischter Protest seitens der Kirche, beispielsweise seitens des Kardinals Reinhard Marx* und in Folge dessen eine Replik von Herrn Söder, seines Zeichens bayerischer Finanzminister, dass die Kirche jemandem das „Christsein“ nicht absprechen könne, nur, weil die- oder derjenige eine andere Meinung hätte. Es gäbe immerhin eine ganze Menge Menschen („Kirchensteuerzahler“ – sic!), die die Ansichten der Kirchenoberen nicht teilen würden.

Die Kirche könne also nicht definieren, wer oder was christlich ist? Eine interessante Aussage. Wobei Herr Söder die Frage offen gelassen hat, wer das seiner Meinung nach sonst definieren könnte. Uns allen ist wohl klar, wer das definieren möchte, führen diejenigen doch das Wort „christlich“ im Parteinamen.

Letztendlich ist die Diskussion um die Deutungshoheit müßig, denn was „christlich“ bedeutet, geht zur Genüge aus der Bibel, genauer gesagt, aus dem Neuen Testament hervor. Und zwar unmissverständlich. Jesus begibt sich in Opposition zur Mehrheit der Gesellschaft, indem er sich der Ausgegrenzten wie zum Beispiel der Zöllner, der Huren oder der Lepra-Kranken annimmt. Jesus setzt sich aktiv für eine Integration aller Menschen, und würden sie noch so gering angesehen werden, in die Gemeinschaft ein. Und er lebte diese Botschaft, was ihn letztendlich … das Leben kostet. Und die Kirchen sehen sich als Verteidiger dieser großartigen, für die damalige Zeit revolutionären Lehre.

 Quelle: Bayerischer Rundfunk, Magazin "Quer"

Die Aussage, dass alle Menschen vor Gott gleich wären (mit anderen Worten, dass alle Menschen gleichwertig sind) ist der maßgebliche Grundpfeiler unserer europäischen Kultur – zumindest den Bekenntnissen nach. Die reale Gesellschaft sieht leider vollständig anders aus. Wir haben ein neoliberales Wirtschaftssystem, dessen zentrale Komponente Marktmacht ist und das allein aus diesem Grund schon „Eliten“ bildet und die Mehrheit der Menschen ausgrenzt. Dieses System ist global installiert. Konzerne bestimmen weltweit, was die Politik zu denken und zu machen hat und sie arbeiten mit Hochdruck daran, ihre politische Macht, die ihnen von keiner Verfassung dieser Welt zugestanden wird, über TTiP, CETA, TiSA usw. für alle Zeiten festzuzementieren. Aus diesem Grund – und weil uns dieses System als „alternativlos“ verkauft wird – haben wir weltweit rechtsdominierte Regierungen. Das Infame daran ist, dass viele der Parteien, die einen rechten Kurs verfolgen, sich das Deckmäntelchen des Christentums überstülpen … eine höchst erfolgreiche Feigenblatt-Strategie, von der sich Millionen von Menschen täuschen lassen. Denn „rechts“ ist ausdrücklich nicht christlich, noch nie gewesen. Um diese Aussage zu belegen, lassen Sie mich bitte auf die Ursprünge der Begriffe „rechts“ und „links“ eingehen. Diese Einteilung stammt aus der Sitzordnung der verfassungsgebenden Nationalversammlung, die im Zuge der französischen Revolution einberufen wurde. Es gab damals keine politischen Parteien wie heute, also hat man versucht, die Delegierten durch ihre Grundgesinnung zu „sortieren“. Links sollten alle diejenigen sitzen, die für die unbedingte Gleichwertigkeit aller Menschen eintraten (mithin für die Botschaft Jesu), rechts diejenigen, die einigen Menschen Sonderprivilegien über alle anderen zugestehen wollten. Dabei ging es damals speziell um den Adel, der jahrhundertelang alle Fäden in der Hand gehalten hatte, ein Zustand, der dadurch natürlich von vielen als selbstverständlich angesehen wurde. Und als gottgegeben, wie die absolutistischen Könige „von Gottes Gnaden“ stets betonten. Auch für diese Sichtweise lassen sich Bibelzitate anführen (zum Beispiel Römer 13,1: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet.“) Aber erstens stammt diese Äußerung nicht von Jesus, sondern von Paulus, der Jesus nicht einmal persönlich gekannt hat. Zweitens hat Jesus sich eindeutig zu korrupten / heuchlerischen Regierungen geäußert (zum Beispiel Matthäus 23,2-4). Und drittens können alle Sophistereien nicht von der starken Grundbotschaft des Christentums ablenken: Die Gleichwertigkeit aller Menschen. Auf dieser Einteilung basiert im Wesentlichen die heutige Sitzordnung der meisten Parlamente dieser Welt, auch die des Deutschen Bundestages.

Aus dieser christlichen Position, die heute von der Kirche (insbesondere dem amtierenden Papst Franziskus) wieder deutlicher und lauter verteidigt wird, leitet sich unter anderem der Katalog der Menschenrechte im Grundgesetz ab. Oder auch die Genfer Flüchtlingskonvention.

Liebe Leute, ob ihr christlich seid, entscheidet sich nicht darin, wie sehr ihr Kirchenbänke mit euren Hintern und Knien abwetzt oder wie viel Kirchensteuer ihr jedes Jahr abdrückt, sondern darin, wie ihr persönlich es mit der christlichen Botschaft haltet. Leider ist an vielen Befürchtungen der Bevölkerung und einem unglaublichen Erstarken der AfD deutlich zu erkennen, dass aus Angst / Ressentiments allen Grundrechten zum Trotz Ab- und Ausgrenzung der „Fremden“ propagiert werden. Wenn ihr nicht anders könnt, beharrt auf eurer Meinung! Das ist euer demokratisches Recht. Aber dann habt wenigstens den Mut und die Ehrlichkeit, diese Meinung nicht als „christlich“ zu betiteln!

Ich höre schon die Gegenargumente, die ihr empört vorbringt, nämlich, dass es ja gar nicht um Ausländer- oder Islamhass ginge, sondern, dass die Kapazitäten halt einfach nicht ausreichen, derart viele Flüchtlinge in Europa unterzubringen. Also müssten sie halt draußen bleiben. Vor allem die sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“! Darüber gäbe es enorm viel zu sagen, aber das ist nicht das Thema dieses Essays. Auch wir Linken wollen keine Flüchtlinge auf der Welt. Jeder (!) Mensch sollte die Möglichkeit (!) haben, in Frieden auf seinem Land zu leben ohne ständige Bedrohung von Gewalt, Hunger oder Naturkatastrophen. Die meisten Menschen sind glücklich da, wo sie geboren wurden, nur wenige zieht es woanders hin. Insbesondere wir Deutsche betätigen uns ja ganz gern als Auswanderer. Wir als diejenigen, die davon profitieren, dass die Gewässer vor Somalia für billige Fischstäbchen leergefischt wurden, sodass die Bevölkerung dieses Landes keine Existenzgrundlage mehr besitzt, sollten selbst unabhängig von der christlichen Lehre die Verantwortung übernehmen. Mit der christlichen Lehre als zivilisatorischer Basis wird daraus eine Verpflichtung. Wenn wir diese Verpflichtung nicht annehmen, propagieren wir das Recht des Stärkeren („wir dürfen anderen ihre Lebensgrundlage nehmen, weil wir es können“) und dieses „Recht“ ist das Gegenteil von Christentum. Auf welche Weise wir Verantwortung übernehmen, darüber kann und muss diskutiert werden. Aber sich aus der Verantwortung herausstehlen und unser „gelobtes Land“ gegen Fluchtbewegungen abschotten, ist das Gegenteil von Verantwortung übernehmen. Letztendlich läuft es darauf hinaus: Entweder, wir geben den Menschen in Krisenländern ihre Lebensgrundlage zurück (nicht der „Islam“ hat ihnen die genommen, sondern in den meisten Fällen der sogenannte „Westen“) oder die Menschen kommen dorthin, wo sie diese Lebensgrundlage finden. So einfach ist das. Die Entscheidung liegt letztlich bei uns, bei den Mächtigen der Welt. Alles, was ich mir wünsche, ist, dass diese im wahren christlichen Geist getroffen wird, im Verständnis, dass jeder Mensch gleich viel wert ist. Und dafür stehe ich als Agnostiker!