De Tyrannis

Irgendwer sagte mal, dass es doch der optimale Zustand sei, wenn auf der einen Seite eine Bevölkerung stünde, die sich gerne anleiten ließe, also gerne beherrscht werden will und auf der anderen Seite ein Mensch, der gerne herrscht. Alle bekämen, was sie wollten, alle wären glücklich, win-win.

Das ist die Position der Tyrannen, die einzige Rechtfertigung, die sie vorbringen können. Mit der Realität hat es gleichwohl nicht viel zu tun, denn … was ist denn mit denen, die nicht beherrscht werden wollen, jedenfalls nicht so? Viel gewichtiger ist allerdings die Frage nach dem Menschen, der gerne herrschen will. Warum, aus welchem Antrieb heraus will ein Mensch einen oder viele andere beherrschen, also ihnen gegenüber seinen Willen durchsetzen können?

Da fallen mir genau zwei Möglichkeiten ein.
Erstens ein schlechter Charakter, Herrschsucht kann ein Ausdruck eines rohen, unausgebildeten und unausgeglichenen Charakters sein.
Zweitens die Kompensation eines angeknackten Selbstbewusstseins. Die Möglichkeit zu herrschen verdeckt die eigene Unsicherheit, das Gefühl der Unzulänglichkeit und ermöglicht es demjenigen, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Jedenfalls … denkt er das. Ich schreibe hier ganz bewusst ausschließlich vom männlichen Genus, denn dieser Sexus ist in dieser Frage bei Weitem höher repräsentiert als der weibliche.

Doch leider: Weder eine Charakterschwäche, noch ein beschädigtes Selbstbewusstsein stellen in meinen Augen eine ausreichende Qualifikation für das Regieren dar. Ganz im Gegenteil! Eine Regierung gilt immer nur dann als gut, wenn sie darauf achtet, was das Volk braucht, nicht darauf, was der Herrscher braucht. In diesem Sinne ist jemand mit einer Charakterschwäche die ungeeignetste Person überhaupt. Der Wille, anderen Menschen die eigenen Vorstellungen, Ziele und Einschätzungen aufzudrücken, hat die Menschheit seit Jahrtausenden oft genug in Chaos und Elend gestürzt.

Egal ob Donald Trump, Hitler, Mao, Stalin, Pol Pot oder wie sie alle heißen mögen: Etwas Gutes ist der Menschheit seitens von Herrschsüchtigen noch nie widerfahren. Noch nie! Und doch … nach wie vor gewähren wir genau solchen Menschen die nahezu uneingeschränkte Herrschaft über sehr viele essenzielle Lebensbereiche. Und dabei rede ich nicht in erster Linie von der Politik, in der sich nach wie vor in allen Parteien die Menschen an der Führungsspitze durchsetzen, die mit Charme, Ellenbogen und Intrigen vorgehen. Auch in einer Partei wie der sich basisdemokratisch gebenden LINKEN, wobei immerhin immer wieder Ausnahmen von der Regel wie ein Gregor Gysi oder ein Jan Korte angenehm hervorstechen (aber nicht nur dort, auch in fast allen anderen Parteien gibt es charakterlich eindeutig integre Menschen, die es bis ganz nach oben schaffen). Nein, ich spreche überwiegend von … der Wirtschaft. Längst hat im Neoliberalismus nicht mehr die Politik das Sagen, die wesentlichen Entscheidungen werden in Konzernvorständen getroffen. Der mächtigste Mann der Welt ist mitnichten der US-Präsident, es ist der CEO von Blackrock, momentan Laurence "Larry" Fink, denn Blackrock hat durch die Eigentumsanteile, die von der Firma gehalten werden, wiederum maßgeblichen Einfluss in allen Konzernen, Beraterfirmen, den großen Wirtschaftsrechts-Kanzleien, den Rating-Agenturen, Banken etc. etc. Keiner von denen kann es sich erlauben, nicht auf Herrn Finks "Vorschläge" einzugehen. Ein Moloch, wie er nur im Neoliberalismus entstehen konnte.

Eine Zahl, die immer wieder durch die Presse geistert: In den Führungsetagen der Unternehmen ist die Quote der psychisch kranken Menschen (Psychopathen, Soziopathen, Narzissten etc.) sechsmal höher als im Bevölkerungsdurchschnitt (eine interessante Lektüre dazu: https://www.spiegel.de/karriere/fuehrungskraefte-heiner-thorborg-ueber-psychopathen-chefs-a-1001377.html). „Vier bis fünf Prozent der Menschen sind Psychopathen, aber nicht alle werden kriminell“, sagt Niels Birbaumer, Professor für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen, heißt es in einem Artikel des Focus (https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/psychologie/krankheitenstoerungen/wenn-der-mensch-zum-monster-wird-so-erkennen-sie-einen-psychopathen_id_2734734.html). Bedeutet, dass die Psychopathen-Quote in Unternehmen mindestens so hoch liegt wie die in Gefängnissen, wo sie bei rund 25 % eingepegelt ist. Und ob darin die Quote der anderen Gruppen von Charaktergestörten wie Soziopathen oder Narzissten bereits erfasst ist, bleibt offen. Nicht nur das Buch der psychologisch geschulten Trump-Nichte Mary über ihre Familie legt nahe, dass die Quote der charakterlichen Loser durchaus auch in der Politik eine überdurchschnittliche sein könnte.

Ein Merkmal der Intelligenz ist die Fähigkeit, dazuzulernen.
Wir Menschen sind dazu auf den entscheidenden, existenziellen Feldern nicht in der Lage. Weder bei der Auswahl unserer "Herrscher" (die eigentlich keine Herrscher sein sollten, sondern Diener des Volkes, daher auch der Name "Minister", von lateinisch ministrare, "dienen"), noch bei den großen Menschheitsproblemen, von denen jedes einzelne nicht weniger als das Auslöschen der Menschheit selbst, in der Form, wie wir sie jetzt kennen, zur Folge haben kann: Klimawandel, Artensterben, Ressourcenraubbau und Vermüllung der Umwelt.

Nein, so richtig intelligent sind wir nicht. Wir lernen nicht dazu, denn dazulernen bedeutet, erkannte Fehler abzustellen, einen neuen, erfolgversprechenderen Kurs einzuschlagen. Es bedeutet, sich an geänderte Umstände anpassen zu können. Aber das tun wir nicht, jedenfalls kommen wir über gut gemeinte Ansätze kaum hinaus und selbst die werden oft genug wieder von Menschen mit eigenen Interessen hintertrieben.

Soweit es die Chefetagen in Politik und Wirtschaft betrifft, wäre die Lösung sogar relativ einfach: Jede(r), die/der sich für einen Job dort bewirbt, muss sich einem (anonymisierten - um Parteilichkeit der/des analysierenden Psychologin oder Psychologen zu vermeiden) psychologischen Test unterziehen und darf bei festgestellten Auffälligkeiten nicht in Betracht gezogen werden. Nicht Eigentum, nicht der Wille zur Macht dürfen entscheidend sein, wenn es um die Geschicke der Stakeholder, also der von einer Firma oder einem Staat abhängigen Menschen, geht. Es wäre ein kleiner, einfacher Schritt in die richtige Richtung, der aber nicht gegangen wird, den die maßgeblichen Entscheider nicht umsetzen … Warum nur nicht? Die Antwort könnte durchaus auf der Hand liegen … ein sich selbst entmachtender Psychopath ist sicherlich eine höchst rare Erscheinung …